Streitfall Genderdeutsch
Die deutsche Sprache, zumindest in ihrem medialen und öffentlichen Gebrauch, bewegt sich seit etlichen Jahren im Spannungsfeld der Politik, die unter dem bestimmenden Einfluss des Begriffs "Gender" steht. Nicht mehr soziale Not, sondern die vermeintliche oder tatsächliche Diskriminierung, die durch den Gebrauch des generischen Maskulinums erfolgt, steht im Zentrum des Interesses vieler Akteure, ob aus der Politik oder den sogenannten Humanwissenschaften stammend. Die "Gendersprache", die Ingo von Münch in seiner konzisen Studie analysiert, trägt in jedem Fall zur Entzweiung innerhalb der modernen Gesellschaft bei.
Münch unterscheidet das "weiche Gendern", das keine Worte verändert, aber durch die Doppelbenennung beide Geschlechter adressiert, wie etwa dann, wenn von "Besucherinnen und Besucher" und nicht, gemäß dem generischen Maskulinum, von Besuchern gesprochen wird. Abgesehen von einer "leichten Umständlichkeit" sieht Ingo von Münch hier keine gravierenden Probleme. Anders verhalte es sich mit dem "harten Gendern", das auf Sprachleitfäden, Handreichungen und andere verpflichtende Maßgaben von Ämtern oder Lehreinrichtungen zurückgeht. Mitunter besteht auch ein "Zwang zum Gendern", denn es sei "an eigenen deutschen Hochschulen eine bereits übliche Praxis, ein Nicht-Gendern in schriftlichen Arbeiten mit einem Punktabzug zu sanktionieren". Der "deutsche Sonderweg" der Gendersprache erschwere zudem Ausländern den Zugang beim Erlernen der Sprache, dasselbe gelte für Schüler, die mit dem Lesen und der Rechtschreibung vertraut gemacht werden.
Die vermeintlich geschlechtergerechte oder geschlechtersensible Sprache und die damit verbundenen Maßnahmen zur Umsetzung beurteilt der Autor als ausnehmend unsensibel. Es gebe zudem nicht nur eine, sondern mehrere Gendersprachen: "Die Gendersprache artikuliert sich in verschiedenen (also: mehreren) Form, was bedeutet, dass eigentlich mehrere Gendersprachen existieren; allen Gendersprachen gemeinsam ist, dass sie den Gebrauch ausschließlich maskuliner oder überhaupt geschlechtsbezogener Ausdrücke ersetzen mit dem Ziel, sprachliche Diversität herzustellen." Aus dem "Rednerpult" werde so das "Redepult". Sprache sei zwar, so von Münch, kein "unveränderlicher Betonklotz", aber die Einführung der Gendersprache sieht er als politisch gewollt an, nicht aber in der Mehrheit der Bevölkerung verankert: "Die deutsche Sprache als Kulturgut gehört uns allen. Keiner hat ein Recht, darin herumzupfuschen. Sprache entwickelt sich von allein, aber nicht auf Druck von oben. Gendern ist – wie ein weiser alter Mann wie Joachim Gauck sagte – »betreutes Sprechen«." Die "Ideologie der Genderaktivisten" steht gegen alle Argumente.
"Die in vielen Beispielen erwähnte Sprech- und Schreibweise der Gendersprache ist nicht die Sprache der Kassiererin im Supermarkt oder des Bauarbeiters an der Autobahn. Es ist vielmehr die Sprache einer abgehobenen Elite."
Ingo von Münch führt weiter aus: "Erstaunlich und eigentlich traurig ist es, dass nicht nur Bürokrat*innen gendern, sondern auch Institutionen, von denen ein pfleglicher Umgang mit dem Kulturgut Sprache zu erwarten ist, sich dem Diktat – oder sollte man nachsichtiger formulieren: dem Druck – des Genderns unterwerfen." Dazu gehört auch etwa der PEN-Verband Berlin und die Ruhrtriennale. Der Autor stellt fest, dass die Gendersprache die Spaltung der Gesellschaft vertieft, weil "alltägliche Kommunikationsvorgänge" betroffen sind. Der eine gendere, der andere nicht – und im Fernsehen erleben Zuschauer, wahlweise "Zuschauer:innen" oder "Zuschauende", die Omnipräsenz des Genderns. Münch schreibt dazu: "Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sollten sich schon wegen des Neutralitätsgebotes und ihrer Finanzierung durch Zwangsgebühren nicht einer parteipolitisch affinen Sprachideologie andienen." Er warnt davor, die "Spaltung zwischen Befürwortern und Gegnern der Gendersprache" heute zu einem "Kulturkampf" hochzustilisieren. Doch die "Härte der Auseinandersetzung" sei bereits spürbar. Münch schreibt: "Die Bestrebungen zur Einführung und Verbreitung der Gendersprache gehören nicht zum klassischen Repertoire des Feminismus. Biotope der Gendersprache sind vielmehr die Betroffenheitskultur und die Woke-Kultur, beide zugleich in der Form der Verteidigung und des Angriffs." Die Gendersprache gehört zur gegenwärtig herrschende Identitätspolitik, bei der ein "Sprechen" nach dem "Willen der Aktivisten" erfolgen solle: "Sprachregelungen werden zu Sprechregelungen." Dabei sei, so Ingo von Münch, eines unbestreitbar: "Die in vielen Beispielen erwähnte Sprech- und Schreibweise der Gendersprache ist nicht die Sprache der Kassiererin im Supermarkt oder des Bauarbeiters an der Autobahn. Es ist vielmehr die Sprache einer abgehobenen Elite. Fazit: Die von den Genderaktivisten angestrebte Inklusivität der Gendersprache führt in Wahrheit tatsächlich zu deren Exklusivität."Das "aufgedrängte Gendern" ist für Ingo von Münch, wie er in seinem lesenswerten Buch ausführt, mehr als nur ein lästiges Phänomen der Zeit, sondern es spiegelt auch die politische Wirklichkeit wider, in der wir leben. Die Freunde des generischen Maskulinums werden dieser Einschätzung gewiss zustimmen.

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