Frontalunterricht ist nicht überholt, Projektarbeit nicht das Allheilmittel gegen Langeweile und Fremdbestimmung. Herbert Gudjons, Professor für Erziehungswissenschaft in Hamburg, macht Lehrerinnen und Lehrern Mut, den verpönten Frontalunterricht, der - mit schlechtem Gewissen - während 75 % der Unterrichtszeit praktiziert wird, bewusster und gekonnter einzusetzen. Wichtig ist dabei, frontale Unterrichtsphasen mit anderen, offeneren Unterrichts- oder Sozialformen zu kombinieren. Und das ist auch die Grundthese des Autors.
Frontalunterricht hat unverzichtbare didaktische Funktionen. Er kann, wenn er "in Unterrichtsformen integriert ist, die Eigentätigkeit, Selbstverantwortung, Selbststeuerung und Kooperation der Lernenden fördern" (S. 8). Wichtig ist vor allem, dass Lehrende sich bewusst machen, dass es "nicht möglich und sinnvoll [ist], im Frontalunterricht ständig fertige Wissenssysteme zu vermitteln, [...] das Lernen im Gleichschritt anzustreben, ohne Spielräume für die Eigenaktivität der Lernenden zu eröffnen." (S. 144) Mit dem Konzept des "integrierten Frontalunterrichts" dagegen kann eine Verbindung von induktivem - also entdeckendem - und deduktivem Lernen gelingen. Denn entdeckendes Lernen kann umgekehrt nur auf der Basis ausreichenden Vorwissens erfolgen. Somit bleibt die instruktionale Anleitung durch die Lehrkraft unverzichtbar. Instruktion und Konstruktion sind keine Gegensätze.
Frontalunterricht ist also keine "Allzweckwaffe" (S. 46), sondern für ganz bestimmte Unterrichtsziele sehr effektiv. Gudjons nennt eine ganze Reihe von Vorteilen dieses integrierten Frontalunterrichts, z. B. die gemeinsame Ergebnissicherung, das Üben und Wiederholen oder die Stärkung der Klassengemeinschaft. Zu jedem Punkt gibt er didaktische Hinweise und macht auf häufige Fehler aufmerksam. Beispielsweise ist im verbreiteten fragend-entwickelnden Unterrichtsstil der Sprechanteil des Lehrers mit 70% meist viel zu hoch und die Wartezeit nach einer Frage mit knapp einer Sekunde viel zu kurz. Gudjons schlägt zwei bis drei Sekunden vor. Durchschnittlich stellen Lehrer im Natur- und Sozialkundeunterricht der Primarstufe pro Stunde etwa 150 Fragen, so dass Gudjons zu dem Resultat gelangt, an dem 1908 bereits von Gaudig bemängelten Despotismus der Lehrerfrage habe sich wenig geändert. Die Aktivität der Schüler wird größer, wenn der Lehrer weniger fragt.
Der Methodenteil ist systematisch aufgebaut und macht vielfältige weiterführende Vorschläge, so zum Einstieg in ein Thema, zum Lehrervortrag, zur Arbeit mit der Tafel oder Folien und dem richtigen Einsatz von Bildern und den damit verbundenen Gefahren - z.B. dass der Lehrer den Lernstoff einfach darbietet, anstatt ihn von den Lernenden erarbeiten zu lassen -, oder zu Gesprächsformen und Interaktionsspielen. Immer wieder werden die theoretischen Überlegungen durch Beispiele aus der Praxis illustriert. Sehr wertvoll sind auch die Hinweise zum Klassenmanagement, zum Klassenklima, zu Details wie der Sitzordnung der Schüler, der Position der Lehrkraft im Raum und vor allem ihrer Körpersprache. So sollte ein Lehrer vor dem Sprechen Blickkontakt zu den Schülern aufbauen, aber einzelne Schüler nicht zu lange und intensiv ansehen. Allein schon die Körperhaltung kann aktive Beiträge der Schüler ermuntern, wenn sie entspannt ist, oder umgekehrt auch hemmen. Kohäsion, Vertrauen und Disziplin in einer Klasse zu fördern, ist kein überflüssiger Luxus, sondern beeinflusst massiv die Lernleistung der Schüler. Gerade diese profunden psychologischen Analysen machen das Buch so wertvoll.