Manchmal hat das Ego auch erfreuliche Seiten
"Wir sollten nicht zu entdecken versuchen, wer wir sind, sondern was wir uns weigern zu sein." Der Satz stammt von Michel Foucault und ist Frank Schirrmachers "EGO. Das Spiel des Lebens" (Blessing Verlag, München 2013) vorangestellt. Aus gutem Grund, denn wir sind ausgesprochen schlecht beraten, wenn wir dem gegenwärtigen Diktat der Ökonomie, das uns nur noch als "homo oeconomicus" sieht, angetrieben von Profitinteressen, Opfer unserer Egos, deren vordringliches Interesse angeblich im Eigennutz liegt, nachgeben und ihm uns ausliefern.
Es versteht sich: der Mensch ist um einiges vielschichtiger, seine Motive sehr viel komplexer als dass er auf eine so simple Formel wie Eigennutz reduziert werden könnte. "Seit Jahrhunderten hatten Leute herausfinden wollen, wie der Mensch tickt, und sie alle, ob Wahrsager, Philosophen, Psychologen, waren letztlich gescheitert. Wie sollten ausgerechnet Ökonomen die menschliche Unberechenbarkeit auf eine Formel bringen können?"
Indem sie mit einer zündenden Idee aufwarteten: "Sie fragten nicht mehr, wie der Mensch tickt. Sie fragten, wie der Mensch ticken müsste, damit ihre Formeln funktionierten. Und die Antwort lag auf der Hand: Alle Probleme mit dem Unsicherheitsfaktor 'Mensch' lösen sich in Wohlgefallen auf, wenn man zwingend annimmt, dass er bei dem, was er denkt und tut, immer nur an seinen eigenen Vorteil denkt. Diese Theorie hatte den Vorteil, dass sie immer funktionierte und alles berechenbar machte. Das Gegenüber ist undurchsichtig? Es wird durchsichtig wie Glas, wenn man annimmt, dass es nur seinen Profit vergrössern will. Menschen helfen andern Menschen? Sie tun es, weil sie sich selbst etwas Gutes tun wollen."
Ist doch klar, dass jeder zuerst an sich selber denkt - dieses Menschenbild ist heutzutage nicht nur gang und gäbe, es wird auch selten angezweifelt. Obwohl doch eine Mutter fast immer zuerst an ihre Kinder und erst dann an sich selber denkt. Das tut sie nur, weil sie sich deswegen besser fühlt als wenn sie zuerst an sich selber denken würde, werden die Anhänger des profitmaximierenden Credos jetzt entgegnen. Nur sagt das mehr über die Anhänger dieses Denkens aus, als über die Dinge, wie sie sind. Denn das Menschenbild, das die Anhänger der Profitmaximierung predigen, ist nichts als Ideologie, ein Glaube. Und was der Mensch glaubt, das ist er. "Man is made by his belief. As he believes, so he is", heisst es in der "Bhagavad Gita". Und das meint: Wir können auch etwas anderes glauben, als was uns gepredigt wird. Vor allem, wenn es sich um solchen Unsinn handelt wie diesen: "Will Gott, dass du reich bist?", fragte das "Time Magazine" in einer Titelgeschichte im Jahre 2006. Die Antwort? Er will. Und das impliziert: Wer es nicht schafft, ist selber schuld.
Der Mensch erfindet sich die Welt, indem er sich Systeme schafft, die ihm Orientierung, Sicherheit und häufig auch finanzielle Vorteile verschaffen. Die Juristerei wurde deswegen erfunden, die Bürokratie oder eben diverse Finanzinstrumente. Leider haben es nun diese Systeme so an sich, dass sie sich verselbständigen, die Herrschaft übernehmen und wir zu ihren Opfern werden. Frank Schirrmacher zeigt dies mit vielen historischen Herleitungen an der Figur des egoistischen "homo oeconomicus" auf, auch wenn er zu einem weit weniger radikalen Schluss kommt: "Vieles spricht dafür, dass im Inneren der gegenwärtigen Finanz- und Europakrise ein viel grundlegenderer Konflikt schwelt, in dem es im Kern um die Implementierung der neoklassischen und neoliberalen Ideologie in die Gesellschaften Mikro-Märkte und sogar in die konstitutionellen Ordnungen des europäischen Westens geht."
Die Staaten würden von der Ökonomie, und ohne dass es die Politiker merkten, schon längst als reine Mitspieler im Markt behandelt werden, behauptet Schirrmacher, und "nicht mehr als marktüberwölbende konstitutionelle Gebilde". In der Schweiz hatte man in den letzten Jahren eher den Eindruck, der Staat, in dem er die Banken mit Steuergeldern rettete, müsse den Finanzmarkt so recht eigentlich um jeden Preis am Laufen halten. Zugespitzt gesagt: der Staat ist für die Wirtschaft da, einesteils als Mitspieler, andrerseits als Garant und Retter des sogenannten Marktes. "Bürger und Staat haben keine Souveränität mehr, sondern 'spielen' sie nur."
Sinn und Zweck jeden System ist, sich selbst zu erhalten. Im ökonomischen Imperialismus ist der Mensch, was er will. Warum er will, was er will, ist nicht relevant. Denn solange er etwas will, kann man es ihm verkaufen. Blöder, ja gefährlich wird es, wenn er sich weigert, mitzuspielen. Damit jeder will, was alle wollen, muss der Mensch zum Automaten werden. Und die Konsumideologie ist auf dem besten Weg, ihn dahin zu bringen. Doch da gibt es eben noch das Ich, das Widerstand leistet: "Es zeigt sich, das zwischen dem, wie sie sein sollen, und dem, wie sie sind, ein fast unüberbrückbarer Abgrund klafft." Manchmal hat das Ego auch ganz erfreuliche Seiten.

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