Dialektische Verhältnisse
Der Gründervater der Kunstgeschichte und der Klassischen Archäologie, Johann Joachim Winckelmann, hatte noch reichlich wenig übrig für die Römische Kunst. Schon die Werke des Hellenismus galten dem Gelehrten als Abgesang der griechischen Kunst, alles Römische hingegen nur noch schlechte Imitation. Es darf allerdings nicht vergessen werden, dass die (Kunst-) Geschichtsschreibung immer ein Abbild zeitgenössischen Denkens ist. Winckelmann war ein Aufklärer und wendete sich mit seiner Vorliebe für die griechische Antike eindeutig gegen die höfische Kultur des Absolutismus. Heute steht nicht mehr die Bewertung von Kunst als eigenständige "Größe" im Interesse der Forschung und der Rezeption. Es wird vielmehr nach der Aussagekraft der Objekte im Kontext gesellschaftlicher Strukturen und historischer Ereignisse gefragt. Dieser Ansatz ist dem anthropologischen Diskurs der 70er Jahre geschuldet, der seither auch Einzug in die Geisteswissenschaften gehalten hat.
Der Philipp von Zabern Verlag kündigt nun an, ein umfassendes Standardwerk über die Römische Kunst in fünf Bänden bis zum Jahre 2014 herausgeben zu wollen. Für dieses ambitionierte Projekt konnten vier herausragende Historiker und Archäologen gewonnen werden, um "der epochalen Bedeutung römischer Kunst und ihrer eigenen Schönheit gerecht" zu werden und sie einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen. Den Auftakt bietet der renommierte Kenner der römischen Geschichte, Filippo Coarelli. Er untersucht die Ursprünge der Römischen Kunst von der Archaik bis zur mittleren Republik. Im Anschluss erscheint von dem französischen Kunsthistoriker und Klassischen Archäologen, Gilles Sauron, der Titel "Römische Kunst von der Mittleren Republik bis Augustus". Bereits Ende dieses Jahres kann mit der Publikation "Römische Kunst von Augustus bis Constantin" von Bernard Andreae gerechnet werden. 2013 soll schließlich die "Römische Kunst in Spätantike und Frühem Christentum bis Justinian" von Josef Engemann folgen. Abgerundet wird das aufwändige Gesamtkonzept mit Saurons Römischer Kunst in den Provinzen. Schon der erste Band überzeugt durch die Vorstellung neuester Forschungsansätze und durch die zahlreichen prachtvollen Abbildungen. Bei allem technischen und inhaltlichen Aufwand verwundert es lediglich, dass dem Lektorat offensichtlich zu wenig Zeit eingeräumt wurde. Druckfehler behindern unnötig den Lesefluss und kontrastieren eindeutig mit dem ansonsten hohen Qualitätsanspruch.
Im ersten Band "Von den Anfängen bis zur Mittleren Republik" richtet Filippo Coarelli seine Aufmerksamkeit auf die historischen und gesellschaftlichen Strukturen, die zur Entfaltung einer römischen Bildsprache geführt haben. Es sei falsch, so der emeritierte Professor für Römische Geschichte, in der römischen Kunst nach genuinen, von griechischen Einflüssen autonome Merkmale zu suchen. Ein intensiver kultureller Austausch zwischen Rom und Griechenland habe vielmehr zu einem dialektischen Verhältnis geführt. Die Kunst und das Wissen der Hellenen und Etrusker wurden, so Coarelli, an die lokalen Bedürfnisse angepasst. In einem weiten Bogen wird den Auslösern der Römischen Kunst nachgespürt. Denn die Impulse wurden bereits in der archaischen Zeit gesetzt und nicht, wie die mehr oder weniger gängige Lehrmeinung lautet, erst im ersten vorchristlichen Jahrhundert. Allerdings kann bis zur Mittleren Republik noch nicht die Rede von einer römischen Kunst sein, vielmehr von einer Kunst in Rom. Kontinuierliche Überbauungen verhinderten bislang aussagekräftige Funde aus dieser Zeit. Coarelli folgert dennoch aus den wenigen Zeugnissen, dass sich bereits zu Beginn der Herausbildung einer italo-römischen Kultur das hellenische Vorbild nicht von der Hand weisen lässt. Der kulturelle Kontakt war in den Anfangszeiten allein der Aristokratie vorbehalten. Die Bildung einer Aristokratie steht in einem engen Zusammenhang mit der Urbanisierung und damit einer fortschreitenden Differenzierung der Gesellschaft. Es verlangte der Oberschicht nach hochwertigen Gütern um ihre Exklusivität vor der Masse zu rechtfertigen. Zunächst importierte man diese Luxusgüter noch aus dem Osten, mit der Zeit errichteten Handwerker ihre Produktionsstätten auch vor Ort. Als Beispiel seien hier die Caeratner Hydrien oder die pontischen Gefäße erwähnt, Objekte also, die von griechischen Handwerkern in Etrurien angefertigt wurden. Auffallend ist die Bildsprache, deren Entschlüsselung deutlich auf hellenische Mythen hindeutet, während lokale Mythen bis heute nicht zu übersetzen sind. Die Aristokratie ließ gerne ihre Genealogie mit ruhmreichen Vorbildern aus dem Osten verschmelzen. Coarelli hebt hervor, dass damit nicht zum Ausdruck gebracht wird, die eigene Kultur als rückständig zu begreifen. Er bezeichnet dieses Phänomen als eine aktive Akkulturation, also ein bewusstes Aufnehmen fremder Ausdrucksmittel, die die eigenen Bedürfnisse nach außen hin darzustellen vermochten. Bezeichnenderweise hielt die Aristokratie noch im 5. vorchristlichen Jahrhundert an diesen archaischen Formen fest, während sich in Griechenland bereits der klassische Stil durchzusetzen begann. Es scheint einen Zusammenhang zwischen einer tradierten Kunstauffassung und der politischen wie wirtschaftlichen Krise jener Zeit zu bestehen.
Ab der zweiten Hälfte des 5. vorchristlichen Jahrhunderts macht sich ein künstlerischer Wandel in Etrurien bemerkbar. Er ist im Tempeldekor von Volsinii verankert. Mit einem Mal treten individuelle Merkmale in Bildnissen auf und es werden historische Themen umgesetzt. Wie kam es hierzu? Der Autor sieht eine Verbindung zu der stark ansteigenden Bevölkerungszahl. Zum ersten Mal kann eine serienmäßige Produktion festgestellt werden, es sind vereinfachte Varianten der Luxuswaren der Oligarchie, die sich nun auch eine Mittelschicht und manchmal sogar die untersten Schichten leisten konnten.
Greifbarer werden die Veränderungen, die sich durch einen intensivierten Kulturkontakt seit dem frühen 4. vorchristlichen Jahrhundert verstärkten, vor allem in der Architektur öffentlicher Bauten. Eine wachsende Bevölkerung und die Differenzierung der Gesellschaft erforderten eine Neuorganisation der Infrastrukturen und damit eine Erweiterung der öffentlichen Ämter. In Rom sind durch die erwähnten Überbauungen solche Bauten nur wenig bekannt. Coarelli behilft sich mit Vergleichen aus den Kolonien Roms, die, wie schon in der Antike bekannt, Abbilder Roms darstellten. In Rom bleiben für die Forschung der Wiederaufbau der archaischen Stadtmauer, der Straßenbau und die Aquädukte. Einflüsse aus Magna Graecia sind auch hier deutlich zu spüren.
Die römische Expansion im italischen Raum um das Ende des 4. und zu Beginn des 3. vorchristlichen Jahrhunderts ließ die Bevölkerung und Wirtschaft noch weiter anwachsen. Im Mittelpunkt des römischen Staates stand nun die Ideologie des Sieges, wie es Coarelli bezeichnet. Die ansteigende Zahl der Tempelneubauten spiegelt diese Ideologie wider. Gebunden an ein Gelübde wurde nach einer siegreichen Schlacht ein neuer Tempel errichtet. Damit erhielten die Tempel einen Votivcharakter und stehen in einem engen kriegerischen Bezug. Als Grund für diese Erscheinung nennt der Autor die Samnitenkriege (343-290 v. Chr.). In Rom und in den neu gegründeten Kolonien tauchen Votivdepots in hoher Zahl auf. Sie enthielten Exvoten (ex voto - auf Grund eines Gelübdes) in Form von einfachen Terrakottaobjekten, aber auch hochwertigere Statuen wie diejenigen aus Ariccia. Einerseits lassen diese Exvoten Einflüsse aus Magna Graecia erkennen, andererseits treten auch etruskische Stilelemente auf.
Dass die Anpassung fremder Elemente in die Strukturen der römischen Gesellschaft nicht passiv oder eklektisch stattfand, wird anhand der privaten Wohnhäuser deutlich. Nach außen hin stellte so ein römisches Wohnhaus ein hermetisch geschlossenes Bild dar, die gesellschaftliche Struktur der Autorität des pater familias widerspiegelnd. Obwohl auch hier griechische Architekturelemente übernommen wurden, können sie dennoch nur als ein Kommentar oder Hinweis/Zutat/Anhang verstanden werden.
Als eine griechische Besonderheit gilt das Signieren von Kunstwerken. Aus dem 4. vorchristlichen Jahrhundert ist eine solche Signatur auch von einem römischen Künstler bekannt: Fabius Pictor. Als Abkömmling einer adeligen Familie stellte er einen einmaligen Fall dar. Antike Quellen aus der Kaiserzeit belegen die negative Konnotation, die ein solcher Beruf für ein Mitglied des Adels provozierte. Coarelli stellt der Lehrmeinung entgegen, dass weder die Historizität Pictors noch der vorangeschrittene kulturelle Status angezweifelt werden kann. Es sei dagegen erforderlich, die frühkaiserzeitliche Diffamierung des Künstlers im politisch-gesellschaftlichen Kontext zu untersuchen. Nach Meinung des Autors ist ein explosionsartiger Anstieg der Sklaverei in der Kaiserzeit Grund für die Herabwürdigung von Arbeit, die mit den Händen verrichtet wird. Auch Plinius d. Ä. bezeichnet die Malerei als eine ehrenrührige Tätigkeit, die von keinem ehrbaren Bürger mehr durchgeführt würde. Interessanterweise scheinen auch zeitnahe griechische Autoren die Künste zu reinem Handwerk herabzusetzen. Es scheint also eher ein epochales und gesellschaftliches Phänomen vorzuliegen.
Mitte des 3. vorchristlichen Jahrhunderts zeichnete sich ein Ende der Adaption ab. Eine regelrechte Provinzialisierung machte sich durch die Konzentration der politischen Macht auf eine kleine Elite bemerkbar, die sich schließlich im 2. Jahrhundert in der Auflösung des lokalen Kunsthandwerks manifestiert. Hier endet der erste Band. Gilles Sauron wird an diese Stelle anknüpfen mit den unruhigen Zeiten der Mittleren Republik bis Augustus. Aber das ist eine andere Geschichte und erscheint im September 2012.
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