Liebe und Lust trotz allem
In dem Roman "Das Goldene Zeitalter" des ungarischen Schriftstellers Ferenc Karinthy geht es um zutiefst Menschliches. Es geht um die Freude am Leben, darum, Mensch zu bleiben, wo Unmenschliches nach der Macht greift. Der jüdische Lebemann Jószi Beregi muss untertauchen, um die letzten Kriegstage in Budapest zu überstehen Die russische Armee steht bereits vor den Toren der Stadt. Die nationalsozialistischen Pfeilkreuzlerbrigaden durchstreifen die ungarische Hauptstadt auf der Suche nach jüdischen Bürgern, um diese an die Ufer der Donau zu schaffen und dort zu umzubringen. Doch es ist nicht die Furcht vor dem Tod, die Beregi antreibt, Unterschlupf zu finden, sondern seine grenzenlose Freude am Leben.
Die ersten dreißig Seiten des Romans plätschern leider nahezu belanglos dahin, ohne den Leser tatsächlich für dieses Büchlein zu begeistern. Er taucht zuerst bei Nelli unter, einer ihm bekannten Prostituierten. Direkt unter dem Dach eines gut situierten Bürgerhauses findet er bei ihr Unterschlupf. Sie umsorgt ihn, so weit es ihr möglich ist, während er sich bereitwillig mit Zärtlichkeiten bei ihr revanchiert. Nelli ist Beregi jedoch nicht genug - weder in intellektueller noch in sexueller Hinsicht. "Alles was recht ist, aber das ist doch ein ziemlich primitives Mädel. Die kann über nichts anderes reden, als übers Kochen, Putzen, und ja, über die Nachbarinnen.", resümiert der ungarische Casanova später. Mit den sich neigenden Vorräten und dem durch die heftiger werdenden Luftangriffe erforderlichen Umzug in eine Baracke in den Hinterhof des Hauses sinkt auch Beregis Wertschätzung für Nellis Gastfreundschaft. Und nun nimmt der Roman zunehmend Fahrt auf.
Im Luftschutzkeller des Hauses, in dem sich Nellis Wohnung befindet, stößt er auf die gut situierte Gattin eines ungarischen Militärs, der sich an der Front befindet. In dessen Abwesenheit versucht dessen Gemahlin, die jungen Umtriebe ihrer Tochter Adrienne in Grenzen zu halten. Beregi treibt es von Nelli direkt zu den Ferenczys. Hier kann er seiner Fleischeslust sogleich in doppelter Hinsicht frönen. Er stellt seine Liebeskünste nun "Frau Ferenczy" zur Verfügung, die ihn im Gegenzug mit Fleisch, Speck und Eingekochtem aus den privaten Vorräten versorgt. Die familiäre Atmosphäre mit Mutter und Tochter bringt ihn auch dem hübschen "Fräulein Adrienne" nah. In der Abwesenheit der Mutter verführt er die Tochter seiner Geliebten, indem er dieser anbietet, sich zu duzen. Das dazugehörige "Küsschen" fordert er offensiv ein. "Adrienne ... hielt ihm die Wange hin. Beregi küsste sie leicht neben dem Ohr, doch als er keinen Widerstand spürte, glitt sein Mund weiter, auf ihre Lippen. Sie waren kühl und weich und zitterten unter seinem Kuss."
Beregi genießt den jungen Körper Adriennes in vollen Zügen, während diese ihm geradezu verfällt. Unter erfundenen Vorwänden entziehen sich beide immer öfter der Geliebten und Mutter und suchen heimlich die Zweisamkeit in dem derweil zerbombten Wohnhaus. Moralische Bedenken plagen Beregi mitnichten. Zuweilen scheint ihn jedoch "der doppelte Einsatz" an die Grenzen seiner körperlichen Belastbarkeit zu führen - "doch dann riss ihn Adriennes Hitze wieder mit." Während sein Verhältnis mit der Gattin des Oberst auf einer Art stillschweigendem Abkommen - Verpflegung und Schutz gegen Zuneigung und Gehör - beruht, ist die Affäre mit der jungen Adrienne von der Leidenschaft bestimmt.
Beregi wird jedoch entdeckt. Eine Patrouille der Pfeilkreuzler entdeckt ihn in dem Schutzraum. Das doppelte Glück der gelungenen Flucht und der angenehmen Umstände, die er sich dabei verschafft hat, scheinen an ihrem Ende angelangt zu sein. Beregi wird von der Pfeilkreuzlerin Elsa Mikucs abgeführt und läuft nun seinem sicheren Tod an den Ufern der Donau entgegen. Doch statt sich seinem Schicksal zu fügen, beginnt er, seiner potentiellen Mörderin Avancen zu machen. Diese, von der Rohheit der erlebten und mitverschuldeten Barbarei deprimiert, fühlt sich geschmeichelt und kann trotz aller Empörung dem eindeutigen Angebot Beregis nicht widerstehen. Statt ihn zu seiner Exekution zu führen, lässt sie sich von ihm auf ihr Zimmer begleiten. Dort vollzieht die bisher kafkaesk anmutende Soldatin eine ins symbolische überspannte Menschwerdung - von der kampfbereiten Matrone zur modebewussten Frau. "Es war sogar für Beregi ein ungewohntes Schauspiel, wie Frau Mikucz ihre Koppel und den martialischen Ledermantel ablegte und sich der Stiefel entledigte. Wobei sie gar kein schwarzes Spitzenunterkleid trug, sondern diskrete hellblaue Seide und Seidenstrümpfe, nur der Strumpfgürtel war schwarz, mit blauen Bändern."
Elsa Mikucz ist jedoch von Selbstzweifeln getrieben, die sie zum Alkohol greifen lassen. Selbstzweifel ob der eigenen Taten als Pfeilkreuzlerin und ob der geschiedenen Ehe, in der sie nur Gewalt und Kälte erlebt hat. Abend für Abend betrinkt sie sich und gesteht Beregi in diesem Zustand neben den Abgründen ihrer Ehe auch die ihres täglichen vernichtenden Tuns. Eines Tages kehrt Elsa nicht wieder in ihre Wohnung zurück. Nach einigen Tagen des Abwartens verlässt er ihre Wohnung und wird so Zeuge des deutschen Rückzugs aus der ungarischen Hauptstadt.
Der Krieg ist beendet und Beregi, stellvertretend für sein ganzes Land, frei für einen Neuanfang. Geradezu sinnbildlich nimmt er sich zweier Waisenkinder an, deren Verwandte weniger Glück hatten und dem Wüten der ungarischen Nationalsozialisten zum Opfer gefallen sind. Pflichtbewusst gegenüber dem neu gewonnenen Leben gibt er sein nonchalantes Dasein auf und übernimmt die Betreuung der Kinder.
Nur zwei Jahre nach seinem Erfolgsroman "Epepe" und damit auf dem Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens gelingt Ferenc Karinthy, dem Sohn des ungarischen Nationalliteraten Frigyes Karinthy, diese Allegorie auf das dunkle Kapitel des Nationalsozialismus in seinem Heimatland Ungarn. Als Kriegsdeserteur verarbeitet er hier die eigenen Erfahrungen, die er in den Luftschutzkellern Budapests in den Kriegsjahren gesammelt hat. Beklagenswert ist allenfalls das Frauenbild, welches er in seinem Roman vermittelt. Keine starken Wesen, die den Kriegswirren zum Trotz die Familie auch ohne Mann durch den Krieg bringen, sondern von Selbstzweifeln geplagte, schwache, abhängige, ja geradezu dumme Geschöpfe scheinen die Frauen in Karinthys Augen zu sein. Als groß muss man es jedoch empfinden, wie er hier die Verfolgung der europäischen Juden und damit auch seine eigene Verfolgung thematisiert - verlor er doch seine Mutter in Auschwitz. Die nationalsozialistische Bedrohung scheint hier als absurdes Unterfangen, welches Beregis unbeschwerter Freude an den Früchten des Lebens keinerlei Abbruch bereiten kann. Ein Lebemann, der über eine lebensverachtende Ideologie triumphiert, indem er einfach Mensch bleibt, liebt und lacht. Eine hoffnungsvolle Aussage.
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