Reinhard Kocznar: Ein unerwarteter Besuch

Ein gewisses Unverständnis bleibt

Prokop, Versicherungsangestellter im höheren Dienst bei der Bonia, ist auf Ungereimtheiten in seinem Unternehmen gestoßen. Jemand aus den eigenen Reihen begeht mittels Helfershelfern Versicherungsbetrug. Die Schadensfälle in einer der Abteilungen sind nicht nur auffallend häufig, sondern werden auch ohne Weiteres beglichen. Schon allein dieses Verhalten sollte bei den Verantwortlichen die Alarmglocken schrillen lassen, meint Prokop.

Heimlich späht er also die Datenbanken auf dem Server der Versicherung aus, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen. Seine nächtliche Aktion, die er mit dem Passwort seiner Sekretärin betreibt, bleibt natürlich nicht unentdeckt. Darauf ist Prokop vorbereitet. Womit er allerdings nicht rechnet, ist, dass die Nadel, mit der er in diesem Heuhaufen stochert, wohl riesig sein muss und eine tödliche Nervosität erzeugt. Er schlittert in eine Geschichte hinein, die ihn flugs zum Gejagten und Jäger zugleich macht, seiner Sekretärin und Kurzzeit-Geliebten den gewaltsamen Tod bringt. Überraschenderweise ist er ein guter Jäger, meistert seine "Agententätigkeit" bravourös und souverän, obwohl ihm ein Profikiller auf der Spur ist.

Reinhard Kocznars Kriminalroman "Ein unerwarteter Besuch" ist ein Wirtschaftskrimi, der recht spannend ist, obwohl er auch ein Manko hat, das sich gleich zu Beginn zeigt. Der Leser versteht als Außenstehender nicht komplett, was da vor sich geht. Es werden ruckzuck mehrere Protagonisten eingeführt, die Handlung, die Motive bleiben jedoch an manchen Stellen recht kryptisch. Möglicherweise liegt dies an des Autors Kenntnis der Materie zum einen, als zum anderen auch an den vielen Protagonisten, die sich in wechselnden Perspektiven als Jäger und Gejagte tummeln, deren Charakterisierung sich aber in Grenzen hält. Nichtsdestotrotz gelingt es, den Leser in die Geschichte hineinzuziehen.

Eine ganz gute Vorstellung erhält man dagegen vom Einsatz eines Computers: nicht als Arbeitsmittel, sondern als Späher. Das wirkt sehr aktuell und interessiert insbesondere den deutschen Leser, da das dortige Innenministerium über Online-Durchsuchungen von Computern nachdenkt, oder sie betreibt? Wer weiß das schon. Es sind genau diese Methoden, kleine über E-Mails eingeschleuste Programme, die Prokop und sein junger Helfer, ein Computerfreak, anwenden, um den Kriminellen das Handwerk zu legen.

Sowohl Spannung als auch die angedeuteten Probleme des Lesers mit dem Roman dürften dem Insiderwissen des Autors geschuldet sein. Nein, er ist kein ehemaliger Wirtschaftskrimineller, sondern seit Jahren im Versicherungsbereich tätig, kennt dessen Gebaren und wunde Punkte. Da das Leben immer wieder Geschichten schreibt, die man nicht für möglich hält, erübrigt sich auch die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Versicherungsangestellter nicht nur zweimal einem Profikiller entwischen, sondern ihn auch mit Hilfe eines unkonventionellen Teams aus der Rotlichtszene festsetzen kann.

"Ein unerwarteter Besuch" ist der Debütroman Kocznars, der erst vor einigen Jahren zum Schreiben kam. Stilistisch ist nichts an dem Krimi auszusetzen, er liest sich recht flüssig. Dieser Krimi soll keine Eintagsfliege gewesen sein, der Versicherungsmakler, der seiner Kreativität auch als Fotograf freien Lauf lässt, hat schon zwei weitere Titel in Vorbereitung, in denen er dem Genre Kriminalroman treu bleibt. Da diese der Vorschau nach in anderen Bereichen spielen, bleibt es abzuwarten, ob die Verständnisprobleme des Erstlings sich in Wohlgefallen auflösen oder zum Stil des Autors gehören.

Diese Buchbesprechung ist ursprünglich im Online-Buchmagazin Literaturhaus Wien erschienen.
Ein unerwarteter Besuch
Ein unerwarteter Besuch
261 Seiten, broschiert
Skarabaeus 2007
EAN 978-3708232225

75 Jahre "Der Dritte Mann"

75 Jahre "Der Dritte Mann" feiert diese Doppelausgabe. Mit vielen Extras und umfangreichem Booklet.

Der Dritte Mann

Bahnhöfe, KGB-Agenten und eine ausgeleuchtete Bärengrube

Truman Capote gibt einen seltenen Einblick in das Sowjetreich Mitte der 1950er-Jahre.

Die Musen sprechen

Wissenschaftliches Arbeiten: Von der Idee bis zum Manuskript

Wissenschaftliches Arbeiten ist eine Wissenschaft für sich, die erlernt sein will. Theisens Ratgeber bietet wertvolle Hilfe und ist nicht umsonst seit seinem erstmaligen Erscheinen im Jahr 1984 zu dem Standardwerk geworden.

Wissenschaftliches Arbeiten

Wenn Mainstream-Journalisten Bücher schreiben ...

Das Buch ist nicht nur sprachlich und stilistisch kaum zu ertragen, sondern auch inhaltlich.

YouTube - Die globale Supermacht

Wanderungen durch Goethes Welt

Ein reichhaltiges, tiefgründiges und ausgesprochen lesenswertes Buch über den alten Goethe und seine Werke.

Sterne in stiller werdenden Nächten

„Ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Werk mit bedeutendem Inhalt“

Vor einhundert Jahren erschien Thomas Manns Der Zauberberg. Mit dem Nobelpreis wurde es nicht belohnt, zum Ärger seines Autors.

Der Zauberberg, die ganze Geschichte