Eine einschneidende Begegnung
Der Autor des vorliegenden Romans, Nicol Ljubić, schaffte es nach mehreren Auszeichnungen für seine Reportagen im Jahr 2011 mit seinem Roman "Meeresstille" auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis. Danach hörte man lange wenig von ihm. Das lag daran, dass er insgesamt fünf lange Jahre an dem nun erschienenen Roman "Ein Mensch brennt" gearbeitet hat, ein Roman, der zwischen 1975 und 1977 spielt, vor dem Hintergrund einer Zeit, die man später als den Deutschen Herbst bezeichnete und der anhand einer Familiengeschichte das Leben des Umweltaktivisten Hartmut Gründler schildert. Der Rezensent kann sich selbst noch sehr gut nicht nur an jene bleiernen Jahre erinnern, sondern auch an Hartmut Gründler selbst, dessen Aktionen in der noch jungen Umwelt- und Bürgerinitiativbewegung nicht immer unumstritten waren.
Erzählt wird die Geschichte von dem mittlerweile 44-jährigen Hanno Kelsterberg. Schon seit langer Zeit in therapeutischer Behandlung, versucht er Jahrzehnte später, jener dramatischen Geschichte auf die Spur zu kommen, die sein Leben nicht nur verändert hat, sondern beinahe vollkommen zerstört hätte.
Hanno Kelsterberg war 1975 gerade einmal zehn Jahre alt, als seine Eltern dem Tübinger Lehrer Hartmut Gründler ein Zimmer in ihrem Haus vermieteten. Schon bald sollte dieser Einzug das Leben der Familie verändern. Denn besonders Hannos Mutter wird schnell vom Denken Gründlers beeinflusst. Sie stellt die Ernährung der Familie auf die von Gründler bevorzugte Waerland-Kost um und kommt zum ersten Mal in ihrem Leben mit Politik und der Umweltschutzbewegung in Verbindung.
Und weil sie sich schon bald insgeheim in den fanatischen Umweltaktivisten verliebt, tut sie alles für ihn und entfremdet sich von ihrer Familie. Dass sie ihn auch über drei Jahrzehnte nach Gründlers Selbstverbrennung am Buß- und Bettag 1977 in Hamburg verteidigt und verbissen sein Andenken hochhält, muss der über sein Leben schreibende Hanno erschüttert feststellen, als er im Rahmen seiner Recherche seine sterbende Mutter besucht, und in Sachen Gründler nach wie vor keinen Zugang zu ihr findet.
Es ist die Katastrophe von Fukushima, die 2011 den Autor Ljubić und damit seinen Ich-Erzähler Hanno Kelsterberg auf die Idee kommen lässt, vor dem Hintergrund des Deutschen Herbstes mit seinen dramatischen im Buch alle beschriebenen Vorkommnissen (RAF, Mogadishu, Schleyer-Entführung usw.) sich auf die Spurensuche nach Hartmut Gründler zu begeben, eingebettet in eine überzeugend erzählte Familiengeschichte. Er schildert das, was im kleinen Hanno in den Jahren 1975 -1977 vorgeht, genauso überzeugend, wie die Suche des erwachsenen Hanno nach seiner Geschichte und der Bedeutung der Person Gründlers.
Hanno versucht durch den Rückblick letztlich das ganze Buch hindurch zu verstehen, wie die schillernde Figur des Umweltaktivisten Hartmut Gründler mitverantwortlich für das ihn und seine Kindheit zerstörende Ende der Ehe seiner Eltern war.
Obwohl Ljubićs Roman hauptsächlich in der Vergangenheit spielt, hat er doch angesichts der nach wie vor bestehenden Bedrohungen der Umwelt durch Atomkraft und andere Gefährdungen und der intensiven Debatten, wie man sich dem entgegenstellen kann und welche Mittel dabei legitim sind, eine aktuelle Bedeutung. Wieviel sind Menschen zu opfern bereit, um einer Idee zu folgen? Zählt das Wohl Einzelner, wenn das ganze Gemeinwohl auf dem Spiel steht?
Alte und immer sehr aktuelle Fragen, die Ljubić zwischen den Zeilen aufwirft und die seinen Roman nicht nur zu einem lehrreichen Zeitzeugnis machen, sondern auch zu einem gelungenen literarischen Beitrag über die Bedeutung und die Grenzen politischen Engagements.
Ein auch sprachlich ansprechender Roman, den ich gerne empfehle. Er hat mich zurückgeführt in mein eigenes Denken und Handeln in jenen Jahren, als ich als Student auch in der damals noch jungen Bürgerinitiativbewegung aktiv war.
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