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Sandro Benini: Drogen, Krieg, Mexiko

Ein Zeugnis vom "brutalsten Gemetzel der Gegenwart"

Wenige Wochen ist es her, dass einer der meistgesuchten Drogenbosse der Welt, Juaquín "El Chapo" Guzmán in Mazatlán, Mexiko verhaftet worden ist. Dass El Chapo auf der Liste der reichsten Menschen ebenfalls ganz oben steht, erklärt sich von selbst. Die Anschuldigungen, die gegen den Drogenbaron, der 2001 auf spektakuläre Art und Weise einem Hochsicherheitsgefängnis entflohen ist, vorliegen, sind umfangreich, umfassen das ganze Spektrum von Kokain- und Heroinschmuggel über illegalen Waffenbesitz bis hin zur Beteiligung an Mord und organisiertem Verbrechen.

Ein großer Fang also? Politisch gesehen, ja - innerhalb der mexikanischen Bevölkerung allerdings hält sich die Begeisterung in Grenzen, nur zu gut weiß man, dass die Nachfolge eines abgesetzten Drogenbosses noch nie ein Problem dargestellt hätte - längst stehen dafür mehrere Kandidaten in den Startlöchern. Man weiß es so genau, weil der Drogenkrieg schon lange, viel zu lange, andauert - gemäß offiziellen Angaben sind dabei seit 2006, als der damalige Staatspräsident, Felipe Calderón, in Michoacán 6500 Soldaten und Bundespolizisten aufmarschieren ließ und öffentlich den Krieg erklärte, bereits 80.000 Menschen ums Leben gekommen. Dazu kommen die über 30.000 Menschen, die im Laufe der Jahre verschwunden sind und von denen jegliche Spur fehlt.

Wer die Ursachen, Zusammenhänge und Folgen des mexikanischen Drogenkrieges besser verstehen möchte, dem sei Sandro Beninis Buch "Drogen, Krieg und Mexiko - Der gefährlichste Ort der Welt" wärmstens empfohlen.

Mit seinem Dokumentarbuch einerseits und seiner fundierten und häufigen Berichterstattung andererseits verleiht Benini, Lateinamerika-Korrespondent des Zürcher Tagesanzeigers, der seit über zehn Jahren in Mexiko lebt, Mexiko eine wichtige Stimme gegen außen. Dass Mexiko in der Schweiz überhaupt gehört und wahrgenommen wird, ist nicht zuletzt Beninis Verdienst.

Mit einigen Kurznachrichten (die in der mexikanischen Presse so und ähnlich erscheinen), beweist Benini gleich zu Beginn, dass der Drogenkrieg an Brutalität nicht zu übertreffen ist:

27. Mai 2011, Monterrey: Vor einem Kindergarten liefern sich Killerkommandos verfeindeter Kartelle ein Gefecht.

15. November 2012, Tiquicheo, Michoacán: Im Morgengrauen findet man den Leichnam einer jungen Frau. Die Täter haben ihr am ganzen Körper Verbrennungen zugefügt, Verletzungen an den Knien deuten darauf hin, dass sie ihr Opfer hinter sich herschleiften, wahrscheinlich, indem sie es lebend an die Stossstange eines Autos fesselten und losfuhren. Dann haben sie die Frau zu Tode geprügelt. Die Ermordete ist María Santos Gorrostieta, 36, ehemalige Bürgermeisterin von Tiquicheo.

20. Dezember 2012, El Arenal, Jalisco: Aufgespiesst am Gartentor vor dem Haus des Bürgermeisters findet die Polizei den abgetrennten Kopf von Indalecio Vázquez Plascencia.

Im Kampf zwischen den untereinander verfeindeten Drogenkartellen und gegen die staatlichen Ordnungskräfte sind die moralischen Vorbehalte längst gefallen. "Den Feind nicht nur töten", schreibt Benini, "sondern ihn so zurichten, dass er nicht mehr als Mensch zu erkennen ist. Die Öffentlichkeit terrorisieren, damit niemand es wagt, einen Drogenhändler anzuzeigen. Die staatlichen Institutionen verhöhnen, indem man ihre Unfähigkeit demonstriert, selbst die abscheulichsten Taten zu verhindern oder aufzuklären."

Die Fotografien, von denen im Hinblick auf die Publikation die schlimmsten zensuriert worden sind, sind sie zu sehen, die Hingerichteten, die Verhafteten, die Polizisten, die ihrer Arbeit bei der Spurensicherung nachgehen - die Täter und Opfer. Es liegt auf der Hand, dass sich die Linie zwischen Gut und Böse nicht immer deutlich ziehen lässt. "Die Regierung versichert", so Benini, "fast alle Opfer seien gestorben, weil sie «irgendetwas» mit der Drogenmafia zu tun gehabt hätten. Aber in einem Land, in dem 99 Prozent aller Verbrechen ungesühnt bleiben - was keine Redewendung, sondern ein statistischer Wert ist -, ist dies eine blosse Zweckbehauptung."

"Drogen, Krieg, Mexiko" beleuchtet den Konflikt anhand verschiedener Protagonisten und Personengruppen, die direkt oder indirekt an den Geschehnissen beteiligt oder davon betroffen sind; nicht nur dem ehemaligen Staatspräsidenten Felipe Calderón, sondern auch den Frauen der Drogenmächtigen, den Killern und Opfern widmet Benini ein eigenes Kapitel.

Wie sich die Situation unter dem aktuellen Staatspräsidenten Peña Nieto, entwickeln wird, steht vorläufig noch in den Sternen. Dass es mit der Verhaftung von El Chapo nicht getan ist, wird der Staatspräsident wissen. Genauso dürfte er ahnen, dass er das ihm so unliebe Thema der Drogenliberalisierung nicht immer wird von sich weisen können. Bisher - das steht fest - ist der Krieg gegen die Drogen kläglich gescheitert.


von Regula Portillo - 12. März 2014
Drogen, Krieg, Mexiko
Sandro Benini
Drogen, Krieg, Mexiko

Der gefährlichste Ort der Welt
Echtzeit 2013
256 Seiten, gebunden
EAN 978-3905800685