Alles ist Wahrheit, alles ist Lüge
Die Presse ist voll der Lobes für diesen Krimi - "hart und realistisch", "superb", "ein Ereignis" - und im Verlag ist man dem Vernehmen uneins, ob "Roter Glamour" oder eben "Letzte Schicht" der bessere der beiden sei. Und so sei es gleich gesagt: beide sind, obwohl sehr unterschiedlich, ganz aussergewöhnlich. Und das Lob der Presse ist verdient.
"Letzte Schicht" beruht auf einer wahren Begebenheit, der Affäre der Thompson-Privatisierung und das meint: dem Kampf zwischen Alcatel und Matra-Daewoo um den Kauf von Thompson. Verdienstvollerweise weist der Verlag auch auf darauf bezugnehmende Internet-Links hin. Zudem: Dem Buch ist eine Warnung vorangestellt: "Dies ist ein Roman. Alles ist Wahrheit, alles ist Lüge." Man findet diese beiden Sätze auch gegen Ende der Geschichte, dort allerdings ergänzt mit "nichts ist wirklich." Obwohl philosophisch durchaus einleuchtend, hat man bei der Lektüre dieses gut und spannend erzählten, immer mal wieder brutalen Krimis, den Eindruck, dass das Geschilderte sehr real und so recht eigentlich aus dem Leben gegriffen sei.
Da überrascht eines Abends ein junger Mann ein paar Brandstifter und wird am nächsten Morgen tot im Wald gefunden, da werden Ermittlungen manipuliert, versuchen die Fabrikbosse während eines Streiks bestimmte Computer wegzubringen, wird eine alte Frau vergewaltigt und umgebracht, da wird erpresst etc. etc ... kurz und gut, in der französischen Provinz geht es zu wie im Wilden Westen. Und damit wie im richtigen Leben.
"Letzte Schicht" ist jedoch weit mehr als ein guter, ja exzellenter Krimi, denn hier wird aufgezeigt, wie Politik funktioniert und vor allem, mit was für Methoden man im Kapitalismus erfolgreich ist. Besonders überzeugend ist dabei, dass dem Leser vor Augen geführt wird, was ein System, das primär auf Gier aufbaut, für Folgen für die Leute hat, die zuunterst auf der Leiter stehen.
Was die Lektüre dieses Romans übrigens auch lohnt, sind die immer wieder eingestreuten, gesellschaftskritischen Kommentare. Geschieht heutzutage etwas Tragisches, ist ja immer auch gerade ein sogenanntes Care-Team vor Ort. Bei Dominique Manotti liest sich das so:
"Rolande wird von zwei Männern empfangen, einem Arzt in weissem Kittel und einem Polizisten in Zivil, sowie einer Frau in einem gut geschnittenen schlichten grauen Kostüm und mitfühlendem Blick: eine auf Betreuung von Opfern spezialisierte Psychologin. Rolande lehnt es ab, sich zu setzen, und bleibt stehen, sehr aufrecht, steif, die Hände in den Manteltaschen vergraben.
Der Art spricht als Erster. 'Über die Todesursache besteht kein Zweifel. Ihre Mutter hat einen harten Schlag gegen die Schläfe bekommen, mit der Brechstange, die man neben ihrer Leiche gefunden hat. Der Tod ist sofort eingetreten. Ich muss Ihnen leider sagen, Madame', die Psychologin tritt an Rolande heran, 'dass Ihre Mutter vergewaltigt worden ist', die Psychologin legt Rolande den Arm um die Schultern, 'bevor sie ermordet wurde'.
Mit einer ruhigen Bewegung befreit sich Rolande von dem Arm. 'Lassen Sie mich, Madame, mein Schmerz gehört mir allein, er geht niemanden sonst etwas an.'"
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