Yorgos Lanthimos: Dogtooth

Familien-Groteske

Im griechischen Originaltitel von Dogtooth, Kynodontas (Κυνόδοντας), steckt das Wort "κύων", kyon, „Hund“ und gemeint ist damit die Lebensphilosophie der Kyniker; spätlateinisch cynismus, heute besser bekannt als Zynismus. Diese Philosophie, der Zynismus, zeichnet sich durch Spottsucht, Verhöhnung und "Bissigkeit" (vide ibi Hund) aus. Der titelgebende Hundszahn, der Dogtooth, wird zum Chiffre der Befreiung, denn erst wenn dieser ausfällt, ist das Kind erwachsen und somit frei.

Familie, Fanatismus, Faschismus

Genau genommen sind es zwei Töchter und ein Sohn, die die Familie ohne Namen in Lanthimos' Film aufzieht. Die Mutter bleibt dabei stets in der Nähe der Kinder, d. h. in einer abgeschotteten Villa mit riesigem Park, der von hohen Mauern umgeben ist. Nur der Vater darf das Gelände verlassen, die anderen bleiben in Sicherheit ohne Freiheit, abgegrenzt von der realen Welt und mit allerlei Flausen im Kopf. Denn die Eltern bringen den inzwischen schon pubertierenden Kindern allerlei Blödsinn bei. Sie erklären ihnen Begriffe absichtlich falsch, um sie so in der Abhängigkeit der Familie zu halten, die nicht nur aufgrund ihrer fehlerhaften Sprache aufeinander angewiesen ist. Aber auch andere Märchen tischt der Vater den Kindern auf, die stets von der Mutter gedeckt werden. So werden Katzen etwa als Monster beschrieben, die einen ihrer Brüder gegessen hätten. Dass daraufhin die Hinrichtung einer streunenden Katze mit Hilfe einer stumpfen Gartenschere folgt ist nur konsequent und folgerichtig. Die Kinder machen das, was die Eltern ihnen sagen und glauben ihnen jedes Wort. Doch dann dringt doch mit Hilfe einer Sexarbeiterin, die der Vater für den Sohn bestellt, die Wahrheit in die vermeintliche Idylle ein. Die Familie als Keimzelle des Faschismus wird auch in anderen Filmen von Lanthimos gerne thematisiert. Kontroll- und Machtstrukturen zu entlarven und bloßzustellen, gehört für Lanthimos zum Ziel seines Filmschaffens. Dafür greift er zu oft drastischen Mitteln, etwa auch das freiwillige Selbstausschlagen des Dogtooth zur Beschleunigung respektive vorzeitigen Finalisierung der Pubertät. Ecce homo!

Groteske Thriller aus Griechenland

Der als "grotesker Thriller" zu bezeichnende Film Dogtooth erhielt 2009 den Preis Un Certain Regard bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes, später in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film wurde er 2011 zudem für einen Oscar nominiert. Auch seine zahlreichen anderen Filme, die ebenfalls dem genannten Genre zuzurechnen sind, erhielten namhafte Preise. 2017 folgte der Spielfilm The Killing of a Sacred Deer und vor kurzem der Kurzfilm Bleat (2022) mit Emma Stone. Der Spielfilm Poor Things (2023), eigentlich eine Literaturverfilmung, brachte ihm beim 80. Filmfestival von Venedig den Hauptpreis Goldener Löwe ein. Auch gewann Poor Things den Golden Globe Award 2024 als beste Filmkomödie. Zuletzt machte Yorgos Lanthimos mit Kinds Of Kindness beim 77. Cannes Film Festival 2024 von sich reden. Sein Hauptdarsteller Jesse Plemons (Breaking Bad) wurde als bester Darsteller des Festivals geehrt.

Dogtooth
Dogtooth
Laufzeit: ca. 93 Minuten
Originaltitel: Kynodontas (Κυνόδοντας)
EAN 4006680104676

"Und trotz Eurer Technologie habt ihr verloren, denn ihr habt Eure Sinne verloren"

Ein spektakulärer Öko-Thriller getarnt als Krimi-Horror vom Woodstock-Regisseur: wohl einer der besten Filme der Achtziger.

Wolfen

Ein neuer Zugang zu Rainer Maria Rilke

Der "Dichter in Mädchenkleidung" verstarb vor 99 Jahren an Leukämie. Eine Biografie, die den ganzen Rilke zeigt.

Rilke

Nostalgie: Rehabilitierung eines Begriffs

Nostalgie wurde immer wieder politisch verbrämt und ist wohl eines der gefährlichsten Gefühle der Welt.

Nostalgie

Rilke als Vordenker des Faschismus?

Eine provokante These, die u. a. anhand zweier Briefe untersucht wird. Spannende Lektüre garantiert ...

Das Flimmern der Raubtierfelle

Die Reifeprüfung

"Are you trying to seduce me, Mrs. Robinson?" wurde zur Frage der Emanzipation Ende der Sechziger: Die Reifeprüfung.

Die Reifeprüfung

Goyas Radierungen

Der spanische Maler Francisco de Goya zeigte in seinem Werk nicht nur die Opulenz des Königshofes, sondern auch die Gräuel des Krieges und der Inquisition.

Goya. The Complete Prints