Zwischen Laisser-faire und Ohrfeige
Wenn einem pädagogischen Fachbuch eine eigene, aufwändig gestaltete (und durchaus informative) Homepage (www.disziplin.ch) gewidmet wird, mag dies ein erster Hinweis darauf sein, dass dem Leser nicht ein weiterer gut gemeinter Ratgeber aus dem unerschöpflichen Fundus der "einfachen Volkspädagogik" vorliegt, sondern dass hier jemand mehr zu sagen hat.
Dieser Jemand heisst Jürg Rüedi, ist Pädagoge und Psychologe, und arbeitet seit 1987 in der Lehrer/innenbildung. Der Autor selbst sieht den Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit "in der Vermittlung der Grundlagen der Erziehungswissenschaften an zukünftige Lehrpersonen, unter anderem im Hinblick auf Disziplin und Klassenführung."
Er ist einem breiten Fachpublikum bereits durch seine früheren Werke - etwa die "Einführung in die individualpsychologische Pädagogik" - und durch seine Kolumnen in der "Schulpraxis" bekannt.
Rüedi bezeichnet sein Buch im Untertitel als "ein Plädoyer für ein antinomisches Verständnis von Disziplin und Klassenführung". Er zeigt auf, welche inhaltlichen, assoziativen Widersprüche der nackte Begriff "Disziplin" auslösen kann, und er fordert dazu auf, "Disziplin" jenseits von zwanghafter Ordnung und unentwirrbarem Chaos einzuordnen, in eine entspannte Atmosphäre zu integrieren und mit einer wertschätzenden Grundhaltung zu verbinden.
Die grosse Stärke des Buches ist zweifellos die umfassende und integrative Betrachtungsweise. Der Autor scheint alles zusammengetragen zu haben, was Forschung und Literatur an aktuellen und fundierten Erkenntnissen zum Thema bieten können und ergänzt diese mit hilfreichen und umsetzbaren Vorschlägen für die Alltagspraxis. Rüedi bringt dabei seine bewährte Kompetenz und sein abgerundetes Know-how ein. Sein Buch gliedert sich im Wesentlichen in drei Teile:
- Disziplin im wissenschaftlichen Kontext von Psychologie und Pädagogik
- Grundsätze einer wirksamen Disziplin im Klassenzimmer
- Coaching der Lehrkräfte mittels Empfehlungen und Checklisten
Jürg Rüedi begegnet dem Thema mit einer gelungenen Mischung aus Gelassenheit und Ernsthaftigkeit, und man kann sich vorstellen, dass junge Lehrkräfte, die durch seine Schule gehen, später als reife und verantwortungsbewusste Persönlichkeiten vor ihren Kindern stehen können.
Er schliesst sein Werk dementsprechend aussagekräftig ab: "Neue Technologien vermögen drastischere, sichtbarere Veränderungen herbeizuführen. Ob aber die Welt der Kinder und Jugendlichen ein bisschen besser wird, das hängt sehr vom persönlichen Wirken ihrer Lehrpersonen ab."
Die Thematik "Disziplin in der Schule" wird an Relevanz weiter zunehmen, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der neuen Integrativen Schulungsform, die auch im deutschen Sprachraum immer mehr die Separation in Sonderklassen ablösen wird und unter anderem Kinder mit Verhaltensstörungen in Regelklassen einbinden möchte. Das vorliegende Buch kann für Klassen- und Förderlehrpersonen eine hilfreiche Leitplanke sein auf dem Weg, die wertvolle pädagogische Reform erfolgreich in die Praxis umzusetzen.
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