Das deutsche Wirtschaftswunder: Ein Werk von Tätern des Dritten Reichs?
Wie so ziemlich jede gesellschaftliche und berufliche Gruppierung waren auch "die Unternehmer" mehr oder auch weniger tief in die Verbrechen des Dritten Reichs verstrickt. Viele der nach 1945 agierenden Manager, Generaldirektoren etc. hatten auch unter der nationalsozialistischen Regierung Karriere gemacht, waren jedoch im Kaiserreich sozialisiert. Nina Grunenberg, eine der bekanntesten und renommiertesten Journalistinnen des Landes, hat im vorliegenden Buch die Netzwerke der deutschen Wirtschaft von 1942 bis 1966 zum Gegenstand ihrer Untersuchung gemacht. Schon mit dem Titel sowie dem Untertitel und der Periodisierung fangen die Probleme von Grunenbergs Werk an. Die Autorin suggeriert, dass es eine klare Kontinuitätslinie der deutschen Wirtschaftselite von 1942 bis 1966 gab. Richtig ist: Zwar hatten viele Unternehmer die für sie günstigen Rahmenbedingungen im Dritten Reich genutzt und sich damit des Öfteren in kritische Regimenähe begeben, jedoch trifft dies nicht für alle großen Unternehmen zu, die nach 1945 aktiv waren. Es reicht nicht aus, nur auf Flick & Co. zu verweisen. Hermann Reusch beispielsweise war schon vor der Machtübernahme als Unternehmer aktiv und wurde auf Druck der Nationalsozialisten 1942 gemeinsam mit seinem Vater Paul Reusch aus dem Vorstand der Gutehoffnungshütte gedrängt. Dass er nach 1945 unternehmerisch wirken konnte, war nur folgerichtig, wurde er doch als unbelastet eingestuft. Der Terminus "Wundertäter" wird der unternehmerischen Elite zudem nicht gerecht. Zugegeben: Tim Schanetzky hat in einem Aufsatz viele Täter, die unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs bzw. nach verkürzter Haft trotzt schwerster Verbrechen, wieder zu Unternehmern wurden, benannt und dies auch kritisiert. Aber die Verallgemeinerung von Grunenberg, dass quasi das gesamte Wirtschaftswunder von Tätern des Dritten Reichs getragen wurde, ist beinahe unerträglich und völlig unangemessen.
Die Darstellung bringt zudem nichts Neues: Aus teilweise veralteter Literatur schreibt sich Grunenberg ihren Text zusammen, der zwar gut lesbar, aber auch viele sachliche Fehler enthält. So war Paul Reusch nicht nur in den 1930er Jahren Generaldirektor der Gutehoffnungshütte, sondern bereits seit 1909, Hermann Reusch war, als er 1937 in den Vorstand rückte, nicht 43, sondern 41 Jahre. All diese Ungenauigkeiten resultieren aus der wiederum fehlerhaften Sekundärliteratur, die Grunenberg heranzieht. Gerade für die Zeit nach 1945 gibt es zu vielen Unternehmen und Unternehmern meist nur populärwissenschaftliche Werke, basierend auf fragwürdiger Quellenlage. Nina Grunenberg neigt ebenso dazu, manche Einschätzung aus der Wissenschaft einfach zu übernehmen, ohne sie in Frage zu stellen. So geschehen bei der Bewertung der Person Otto A. Friedrich, der gerade von Volker R. Berghahn, als smarter, liberaler und innovativer Unternehmer gesehen wird. Oftmals wird er den knorrigen, autoritären Bergassessoren um Reusch & Co. als Beispiel für den Mentalitätswechsel gegenübergestellt.
Nach all diesen Einwänden kann aber auch positives über Nina Grunenbergs Werk gesagt werden. Es ist leicht und angenehm zu lesen und bezieht explizit Stellung, was an vielen Stellen Anlass zur Diskussion gibt. Trotz der zahlreich belegten Zitate und Literaturhinweise: Ein wissenschaftliches Werk ist es nicht. Weder Netzwerktheorien wurden berücksichtigt, noch originäres Quellenmaterial verwendet. Die vorhandene Literatur wurde auch nicht kritisch ausgewertet. Nina Grunenberg hat es leider verpasst, eine sachlich korrekte Studie zu schreiben.
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