Weniger ist mehr, oder doch nicht?
Die derzeitige Wirtschaftswissenschaft kennt nur wenige "Keynesianer". Das Angebot regiert den Markt und scheinbar auch die Wissenschaft. Wohin man blickt, verkünden ordentliche Professoren der Ökonomie, am lautesten Hans Werner Sinn, die Lehre vom weniger: Weniger Staat, weniger Lohn, weniger Freizeit (mehr Arbeit!), weniger Anspruch. Nur so gehe es Deutschland zukünftig wieder besser und könne Deutschland mit anderen Nationen mithalten. Dem gegenüber stehen einige wenige Nachfragetheoretiker, die sich mit der herrschenden Meinung nicht abgeben wollen und für eine Alternative kämpfen: Hohe Staatsquote, angemessene Löhne und Gehälter, Belastung höherer Einkommen und Investitionsprogramm des Staats.
Albrecht Müller, Redenschreiber des ersten "Superministers" Karl Schiller und Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt bei Willy Brandt und Helmut Schmidt, ist einer davon. In seinem neuesten Werk räumt er mit zahlreichen Mythen und Fehleinschätzungen auf. Nach einem ersten Kapitel über bisherige Reformen und die Ziele der zukünftigen Reformen folgt das eigentliche Herzstück: Als Kompendium bzw. Lexikon konzipiert, greift Müller thesenartig die gängigsten Reformfelder auf. Von der Globalisierung, die gar nicht so neu ist, über Schulden des Staats, die gar nicht so teuflisch sind, bis hin zum Staat, der nicht fett ist. Müller hat beinahe nichts ausgelassen. Die z.T. sehr zugespitzten Formulierungen tun der argumentatorischen Tiefe keinen Abbruch. Zudem finden sich im Anhang zahlreiche Tabellen sowie Datenmaterial unterschiedlichster Art, um die Aussagen zu untermauern. Man muss sich nicht mit allen aufgestellten Behauptungen anfreunden, dennoch liefert Albrecht Müller eine wirkliche Alternative zum "Nachgeplapper" manch eines Politikers. Nur, und das kann als Ziel des Buchs festgehalten werden, wenn sich in Deutschland wieder eine Streitkultur um die zentralen Probleme des Landes entwickelt, kann es uns auch zukünftig besser gehen. Die bisherigen Vorschläge aller (!) Parteien sind nach Müller bloß ein einseitiges, neoliberales und höchst unsicheres Reagieren auf die komplexen Probleme (die keineswegs hoffungslos und so unlösbar sind wie behauptet).
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