Meistens kommt es anders, als man denkt
Was ist der Mensch doch bloß für eine Assoziationsmaschine, insbesondere wenn er alleine seine Tage verbringt! Da wird verknüpft und spekuliert ohne Ende. Es genügt ein kleiner Gedanke, ein Bild, ein Wort, der Anblick eines Gegenstandes und die Assoziationen machen sich breit, gehen über in ganze Geschichten, die dann mit Farbe und Leben gefüllt werden müssen.
So zumindest geht es dem Ich-Erzähler Raimund Auweiler in H. W. Kettenbachs neuem Roman "Die Konkurrentin". Auweiler, Hausarzt im Ruhestand, die Praxis übernahm Tochter Clara, ist mit der 17 Jahre jüngeren Lene, Lokalpolitikerin, seit nun schon 34 Jahren verheiratet. Neben Clara gibt es noch den Sohn René, beide aus der ersten Ehe und schließlich aus der Verbindung mit Lene die jüngste Tochter Birgit. Lene kam über die Arbeit in Bürgerinitiativen zur Politik und brachte es bis zur Bürgermeisterin. Nun ist sie als Kandidatin für die kommende Oberbürgermeisterwahl im Gespräch. Und mit dieser Nominierung, denn mehr ist es bislang nicht, beginnt sich das Denkkarusell für Raimund zu drehen. Schließlich gibt es einen Mann in Lenes Partei, dem es gar nicht gefallen wird, dass seine eigene Aufstellung als Kandidat gefährdet wird und bestimmt sucht er nach Mitteln und Wegen dies zu verhindern. Auweiler überlegt, ob es in Lenes Vergangenheit etwas gibt, was ihre Nominierung gefährden könnte. Raimund fällt sofort die Fahrerflucht nach einem kleinen Blechschaden auf einem Parkplatz ein. Doch das ist nicht alles; je mehr Auweiler sich in seinen Gedanken verstrickt, desto mehr findet bzw. glaubt er zu finden: Lenes vorbestrafte und alkoholkranke Schwester, vielleicht aber hatte Lene auch Affären, wer weiß das so genau, Gelegenheit hätte sie genügend gehabt. Und was war mit dem Jungen aus Lenes Abiturklasse, der bei einem Ausflug ums Leben kam? Auweiler weiß natürlich überhaupt nichts und alles, was er sich so ausmalt, ist auch nur ausgedacht. Allerdings wird seine Fantasie auch angestachelt, erhält er doch Anrufe mit Bitten um Treffen von Leuten mit denen er seit Jahr und Tag nichts mehr zu tun hatte. Auweiler ist überzeugt, da braut sich etwas zusammen!
Auf einer zweiten Ebene erzählt der Roman weniger von der Politik als von Raimunds Einsamkeit in seinem Rentnerdasein, das zwar angefüllt ist mit Literatur, der Beschäftigung mit den Enkeln und den Verpflichtungen als Hausmann, ihm jedoch gleichzeitig viel zu viel Raum zum Denken und Spekulieren lässt, ihn nicht ausfüllt. Für den Leser ist das ganz wunderbar, Raimund jedoch bringt es um den Schlaf. Immerzu muss er sich vorstellen, was geschehen könnte. Einige der Gedankenspiele sind unnötig, wären im Gespräch mit Lene zu klären, doch ist ihm Bange vor dem Ergebnis, dass seine Fantasien Wahrheit werden könnten. Da ist es besser sich weiter zu ängstigen.
Die Gedankenspiele des Raimund Auweiler stehen sicherlich auch als Exempel für die Machtspiele der großen Politik und des Menschen an sich. Hier wie dort, ob lokal oder bundespolitisch geht es im Grunde des Politikerherzens um Macht und weniger um Kompetenz. Aber, weiß Auweiler, die Politik wird benötigt und mit ihr die Presse, die bei allzuviel Machtgerangel als Kontrollorgan dienen sollte. Dass dieses System nicht immer so funktioniert wie gedacht, weiß der ehemalige Journalist Kettenbach ebenso wie seine Figur Auweiler. In Auweilers Worten: "Die Politik verdarb den Charakter, natürlich, aber es gab offensichtlich Fälle, in denen man Politiker brauchte und sogar willkommen hieß, weil sie das zu erledigen vermochten, was einem selbst lästig war oder zu mühsam, mit zuviel Verantwortung beladen oder hin und wieder, so war jedenfalls anzunehmen, auch zu schmutzig. Natürlich konnte man die Politiker bei solchen Geschäften nicht sich selbst überlassen, aber das tat man ja auch nicht, denn schließlich gab es die Presse, die dafür bezahlt wurde, daß sie den Politikern auf die Finger sah, und so sollte eigentlich auch nach meinem Geschmack alles vorzüglich geregelt sein. War es aber nicht."
Und doch ist der Roman keine Kritik an den Zuständen, er ist eher eine Bestandsaufnahme, und dies auf äußerst witzige und humorvolle Art. Dazu gehören nicht zuletzt die Treffen mit seinem kleinen Enkel Daniel, Auweilers Beschreibungen und Eindrücke der eigenen Kinder, seine Reflektionen über das Altern und seine Ehe mit Lene. In den beiden letzteren Gedankengängen liegt schließlich auch ein Großteil der Probleme Auweilers begraben, denn er hat zuviel Zeit, fühlt sich nicht mehr ernstgenommen. Ist das Buch als Darstellung einer bundesrepublikanischen Realität zu lesen? Ich denke, dies wäre überanalysiert. Es ist ein Text über Raimund Auweiler, der in dieser Gesellschaft lebt, sie beobachtet und mit früheren Jahren vergleichen kann, und nur insofern ist der Roman ein Text über die hiesige gesellschaftliche Realität. Auweilers Probleme sind nicht spezifisch deutsch. Machthunger, Intrigen, Einsamkeit findet man auch anderswo. Mit Raffinement, denn es gehört einiges dazu, einen Leser in einem handlungsarmen Roman bei der Stange zu halten, führt Kettenbach diesen an der Nase herum, macht ihn zum Kollaborateur Auweilers, denn unwillkürlich beginnt man des Arztes Fantasien beim Lesen weiterzuspinnen und fragt sich nach der Lektüre, ob da nicht noch mehr war. Raimund Auweiler läuft Gefahr sich um Kopf und Kragen zu denken. Zum Glück läuft die Lawine, die er begann loszutreten, ins Leere. Es kommt nämlich meistens anders, als man denkt.

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