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Joan Schenkar: Die talentierte Miss Highsmith

Sex und sein Preis

Eine Fotografie von 1942 zeigt eine noch unbekannte Patricia Highsmith. Heute lagert die Aufnahme im Schweizer Literaturarchiv in Bern. Versonnen blickt die 21-Jährige in die Kamera, in lässiger Haltung und mit nackten Brüsten. Gut sieht sie aus, und das scheint ihr bewusst zu sein. Gefallen möchte sie offenbar, auch dies drückt das Bild aus, vor allem einer Person: sich selbst.   



Highsmith hat sich nie um Konventionen geschert. Sie lebte offen lesbisch, hatte zahlreiche Beziehungen und noch mehr Affären, manche davon, es ließ sich kaum vermeiden, parallel. Gelegentlich ging sie auch mit Männern ins Bett. Es war neben dem Platz vor der Schreibmaschine der einzige Ort, an dem sie zufrieden war. Acht bis zehn Manuskriptseiten tippte sie täglich. Daraus sind 22 Romane hervorgegangen und unzählige Kurzgeschichten. Von allen US-Autoren wie Autorinnen erreichte sie in Europa, wo sie fast ihre komplette zweite Lebenshälfte verbrachte, die höchsten Auflagen.

Keine schlechte Bilanz für ein Mädchen, aufgewachsen ohne Vater, hin- und hergerissen zwischen ihrer liberalen, promiskuitiven Heimatstadt New York und einem zunehmend prüden, minderheitenfeindlichen Amerika, das im ersten Naschkriegsjahrzehnt innenpolitisch vom ultrakonservativen Senator Joseph McCarthy geprägt wurde. Es gab andere Schicksale, die wesentlich unglücklicher verliefen; etwa dasjenige eines ihrer literarischen Vorbilder: Sylvia Plath, von der ein gerahmtes Porträt in Highsmiths Arbeitszimmer hing, brachte sich mit 30 um.

Noch einmal zurück zu dem Foto: Es zeigt, heißt es immer wieder in journalistischen Beiträgen über Highsmith, ein sehr jungenhaftes Mädchen, mit einem Knabenkörper und kleinen Brüsten. Mit solchen Interpretationen und Bewertungen wurde Highsmith kein Gefallen erwiesen. Sie selbst fand, bereits als Zwölfjährige, sie sei "das lebende Beispiel" für "einen Jungen im Körper eines Mädchens." An eine Transgenderexistenz war damals nicht zu denken. Ob sie das glücklicher gemacht hätte?

Highsmith mochte Frauen und keine Männer – aus denselben ästhetischen Gründen, weshalb Männer Frauen mögen. Herrische Art und dominierendes Auftreten, harte Gesichter, grobe Gliedmaßen und behaarte Körper waren ihr zuwider. Allerdings verübelte sie ihren Geschlechtsgenossinnen, wenn diese sich in Abhängigkeit von Männern begaben: "Ich kann mir Frauen (insgesamt) nur sehr schwer auf eigenen Beinen vorstellen", bekannte die Autorin. "Ich sehe sie immer noch irgendwie in Relation zum Mann." 

Andererseits bestand die Hälfte ihrer Leserschaft aus Männern. Die Verlage, für die sie schrieb, wurden von Männern geführt. Und auch die Riege der für den Verkauf ihrer  Bücher so wichtigen Kritiker war in erster Linie maskulin. Der Spagat zwischen Hingezogen- und Bedrängtheit, weiblicher Wunschwelt und wirklich existentem Männerkosmos erwies sich als extrem schwierig. Ähnlich Mark Twains fiktivem Huckleberry Finn, der zuverlässig dann unglücklich ist, wenn er der spießigen Gesellschaft gefallen will, verleugnete sich die reale Highsmith ein Stück weit selbst, indem sie Beziehungen mit Männern einging, nur weil sie sich davon ein Stück Normalität (und damit einhergehend mehr Anerkennung) erhoffte.

Am Schreibtisch war Highsmith ungezügelter. In ihren Büchern durfte sie Frauen hassen, weil sie die unterwürfige Weibchenrolle einnahmen, und ihre still gegen das Klischee rebellierenden, aber nicht aus ihrem biologischen Panzer herauskönnenden Männer scheitern lassen. Fast alle Highsmith-Romane haben männliche Protagonisten. Erst morden sie, dann werden sie selbst zum Opfer – eines fiesen Konkurrenten, einer verständnislosen Gesellschaft oder eines skrupellosen, rachsüchtigen Polizisten. Nur selten überleben ihre gebrochenen Helden das Ende der Handlung. Manche kommen auch davon, wie Highsmiths Lieblingscharakter Tom Ripley, ein sympathischer Mörder , der als einziger in mehreren Romanen (es sind insgesamt fünf) die Hauptrolle spielen und sich trotz seiner kriminellen Ader sogar zu einer moralisch beinahe integren Figur entwickeln darf.

Schreiben war für Highsmith immer auch Therapie. Wenn es ihr persönlich schlecht ging, lief sie schöpferisch zur Hochform auf. In ihren Werken ließ sie einem Frauenhass seinen Lauf, der es locker mit den mysogynen Aversionen  Sigmund Freuds aufnehmen konnte. Laut Highsmith-Biographin Joan Schenkar waren Highsmiths weibliche Wesen "so nah an einer Comickarikatur, wie ein ernsthafter Schriftsteller sie nur schreiben kann. Sie sind rachsüchtige Miststücke wie Nickie in Der Schrei der Eule; instinktgesteuerte Flittchen wie Melinda in Tiefe Wasser; nichtsahnende Unschuldige wie Annabelle in Der süße Wahn; nörgelnde Ehefrauen wie Clara in Der Stümper; männliche bzw. weibliche Projektionsfiguren wie Elsie in Elsies Lebenslust; oder passive Nichtsnutze wie Alicia in Der Geschichtenerzähler."

Eine Ausnahme bilden die beiden Protagonistinnen Therese und Carol in Salz und sein Preis, einem Roman, den Highsmith bereits 1952, in der Hochzeit des McCarthyismus verfasst und – Homosexualität war strafbar – nur unter einem Pseudonym (Claire Morgan) zu veröffentlichen gewagt hatte. Erst Jahrzehnte später bekannte sich die Autorin zu ihrer Urheberschaft. Es ist das einzige längere Werk Highsmiths, das ohne Mord daherkommt und dessen Handlung glücklich endet.

Für ihr eigenes Leben lässt sich dies nur bedingt sagen. Das Schreiben war nicht Highsmiths einzige Methode, ihre Defizite zu verarbeiten. Fast ebenso sehr war sie auf den Alkohol angewiesen. Ständig trug sie einen Flachmann in ihrer Handtasche, und manche Besucher berichten von einem ausschließlich mit Bier  gefüllten Kühlschrank. Ein Abendessen wurde von Highsmith vor allem anhand eines Kriteriums beurteilt: Gab es Alkohol in hinreichender Qualität und Menge? Auch in ihrem Privathaushalt verkam die Aufnahme fester im Vergleich mit flüssiger Nahrung zur Nebensache. Das wirkte sich auf Highsmiths Gesundheit aus.

Ursprünglich von sehr robuster Natur, häuften sich im Alter die Wehwehchen. Sie mied die Öffentlichkeit. Zuletzt lebte Highsmith, umzingelt von Bergen, im Tessin. Ihr Bungalow in Tegna war eher ein Bunker als ein Wohnhaus. Besuch kam selten. Anders als ihre Mutter oder Großmutter, die in den Neunzigern starben, war ihr Lebensweg bereits mit 74 zu Ende. Sie starb am 4. Februar 1995 in einer Klinik im Tessin. Highsmith ist in Bellinzona begraben, ihren Nachlass bewahrt das Schweizer Literaturarchiv auf.

Als Autorin war Highsmith kommerziell überaus erfolgreich. Mindestens drei Dutzend Verfilmungen ihrer Romane sind entstanden. Anders als in ihrer Heimat, wo sie als Krimiautorin galt, erfuhr sie in Europa auch Anerkennung als Erzählerin von literarischem Rang. In seinem 1975 verfassten Essay über Highsmith von 1975 schreibt etwa Peter Handke von ihr als einer "großen Schriftstellerin". Ihre Biographin Joan Schenkar bescheinigt ihr, "fünf oder sechs der verstörendsten Romane des 20. Jahrhunderts" geschrieben zu haben.

Einer davon, Die zwei Gesichter des Januars, beginnt damit, wie ein Mann einen anderen beim Versuch, eine Leiche verschwinden zu lassen, beobachtet. Was macht man in einem solchen Moment? Um Hilfe rufen? Vielleicht lieber Wegschauen? Oder doch zur Polizei gehen? Lösung Highsmith: dem Mann bei der Beseitigung des Corpus delicti helfen! Den Roman hat Highsmith übrigens Rolf Tietgens gewidmet. Er war der Fotograf, der die berühmte Aktaufnahme angefertigt hatte. Eine kurze Zeit waren die Beiden ein Paar. "Mit ihm fühlt es sich an wie mit einem Mädchen", räumte Highsmith ein. Dann blieb sie doch lieber beim Original und suchte sich eine richtige Beziehung; denn "Frauen, nicht Männer, sind die aufregendsten und wunderbarsten Wesen auf der Welt."


von Ralf Höller - 04. Februar 2021
Die talentierte Miss Highsmith
Joan Schenkar
Renate Orth-Guttmann (Übersetzung)
Karin Betz (Übersetzung)
Anna-Nina Kroll (Übersetzung)
Die talentierte Miss Highsmith

Diogenes 2015
Originalsprache: Englisch
1072 Seiten, gebunden
EAN 978-3257068986