Wolfgang Georg Fischer, Peter Stephan Jungk: Die Rückseite der Bilder

Die Geschichte eines Lebens

Der vielseitig begabte Wolfgang Georg Fischer, Künstler, Autor und Kunstsammler, erstattet Bericht – geboren 1933 in Wien, in düsteren Zeiten, dort verstorben 2021. Er war vielfach unterwegs und letztlich doch in Österreich zu Hause, trotz der bitteren Erfahrungen in der NS-Zeit. Fischer erinnert sich an die Stationen seines Lebens und nimmt den Leser mit auf eine sensible, unterhaltsame und berührende Reise durch den Kosmos der Kunst im 20. und 21. Jahrhundert.

Im Jahr von Hitlers Machtergreifung erblickte Wolfgang Georg Fischer das Licht der Welt, unter Mithilfe des späteren "Gauärzteführers" der Stadt Wien, geboren "unter Unmengen von Blumen und den Resten köstlicher Torten, Kekse und Cremeschnitten": "Man konnte davon ausgehen, dass mich ein angenehmes, bürgerliches, halbjüdisches – oder halbarisches – Leben erwartete. Letzteres war noch offen, denn die Nürnberger Gesetze, welche regelten, wer Volljude und wer Halbjude war, traten erst 1935 in Kraft." Sein Vater war zunächst ein "erfolgreicher Buchhändler", später dann Kunstsammler. Zu seinen Freunden gehörte der Schriftsteller Hermann Broch, der ihn zum "ersten Leser" seiner Romane erkoren hatte, weil er seinem Urteil ganz vertraute. Das vorläufige Familienglück endet am 12. März 1938, mit dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, aber schon vorher hatten sehr viele Österreicher mit Hitler sympathisiert, sie seien "seit Jahren in Wartestellung" gewesen und jubelten dann fanatisch dem Diktator und seinen Schergen zu. Die Emigration naht, die Ängste weiten sich. Im neuen "Großdeutschland" wehten "riesige Hakenkreuzfahnen". Gute Erfahrungen sammelt Wolfgang mit dem Klassenlehrer, "den ich mochte, nicht zuletzt, weil er mich vor allen anderen konstant bevorzugte": "Er hieß Bertsche und wäre beinahe entlassen worden, weil er praktizierender Katholik war und im Lehrerzimmer mit anderen mehrmals für eine kranke Kollegin gebetet hatte – ein absolutes Sakrileg in der Nazizeit."

Das Tausendjährige Reich, das zwölf Jahre zu lange dauerte, verging, der Frieden brach aus und Wolfgang Fischer erlebte das Kriegsende in Grundlsee: "Meine Mutter war, wie sie mir oft versicherte, bei allen großen politischen Umwälzungen gerade beim Friseur." Wien lag in Trümmern, eine "verwüstete Stadt": "Böse zwinkernde Kirgisen des russischen Heeres kutschierten auf kleinen Ponywagen durch die Straßenschluchten. Es war kalt, und es gab kaum Strom und Gas." Wolfgang war oft krank, musste in der Mittelschule wochenlang das Bett hüten. Zu Hause lernte er die Kunst lieben, las Gedichte und Romane, versuchte sich selbst als Lyriker. Manche Texte wurden tatsächlich gedruckt: "Ich hatte geglaubt, dass es mir seltsam vorkommen werde, meinen Namen gedruckt zu sehen. Als ich den Beitrag in der Zeitschrift fand, nach einer Musikstunde in der Aula des Gymnasiums stehend, war das jedoch nicht der Fall. Aber fassungslos reagierte ich, als ich wenige Tage später auf dem Postweg fünfundzwanzig Schillinge überwiesen bekam."

Der Vater, in London wohnend, war davon überzeugt, dass materielle Sicherheit die "Grundlage fürs Glück" sei und wartete ungeduldig auf "exakte Vorschläge zur Berufswahl". Wolfgang immatrikulierte sich für das Studium der Kunstgeschichte, verliebte sich gelegentlich, in junge Damen, nicht weniger in die schönen Künste. Er berichtet von einer Liebesnacht in einem italienischen Franziskanerkloster: "Wir tasteten uns bis zum Bett vor und begannen, uns zu umarmen – und weit mehr als das. Als wir den Höhepunkt erreichten, lockerte sich über uns plötzlich ein hölzernes Riesenkruzifix. Es stürzte mit Getöse auf unsere umschlungenen Körper – wie ein Zeichen des Himmels." Später, als Galerist, widmete er sich in Ferienzeiten immer wieder der Schriftstellerei. Er liebte es zu schreiben, und der, wie er selbst sagt, "Schreibarbeit" nachzugehen.

Begegnungen mit Künstlern schildert Wolfgang Georg Fischer sorgfältig und pointiert, berichtet von Francis Bacon, dem damals schon offen homosexuell lebenden, sensiblen Maler, der neben Henry Moore das "größte Genie der englischen Gegenwartskunst" sei. Bacon wird als unbeständig und verwirrt, als boshaft, pervers, genial und engelsgleich beschrieben, ein "schwerer Alkoholiker", der zwischen sieben und zehn Uhr morgens malte und sich danach schlafen legte, ein Gestalt mit "mädchenhaft schmalen Hüften", blasser Gesichtshaut, im Ganzen alterslos und "kaum je ohne Begleitung eines seiner Knaben" anzutreffen: "Er erinnerte mich im Aussehen ein wenig an einen seltenen Fisch, an ein Wesen aus den Tiefen des Meeres. Seine Augen verrieten keinerlei Emotion. Er blieb stets ein Enigma." Spiegelt sich in Francis Bacons Person zugleich die Faszination und das Verstörende eines Künstlers? Fischer skizziert die Ambivalenz eines Mannes, der nicht nur "böse Gossip-Geschichten" kannte, sondern auch unersättlich auf der "Jagd nach neuen Liebesabenteuern" war: "Für mich ging auch etwas Bösartiges von ihm aus, eine Art schwelender Heimtücke, die ich in seinen Werken widergespiegelt sah." Vielleicht, so mag man heute denken, war Francis Bacon ein großer Künstler – doch etwas wahrhaft Gutes, wenigstens ein Gran altruistischer Menschenfreundlichkeit und mitleidvoller Güte, war anscheinend nicht an ihm.

Vom Tod seines Vaters berichtet der Erzähler wehmütig und anschaulich zugleich, mit wenigen Worten erzählt er von dessen Abschied von der Welt und fragt sich, allein im Todeszimmer, was bleibt, ohne eine Antwort zu finden. Wolfgang Georg Fischers Fragen lauten: "Was bleibt von diesem Körper, der mein Vater war? Von einem Vater, den ich sehr geliebt habe, so schwer ich es mit ihm zuweilen auch hatte, so sehr ich ihm sein Verhalten gegenüber meiner Mutter nachtrug." Für den getauften Juden wird eine katholische Trauerfeier abgehalten, in Anwesenheit des prominenten Gastes Henry Moore, dessen Werke in der Galerie Fine Art Fischer zu den "Hauptpfeilern" gehörten. Über den Vater schreibt Fischer weiterhin: "Seit seiner Jugend, die er bei den Benediktinern im Wiener Schottengymnasium verbracht hatte, liebte er das Mystische, die theatralische Größe des Kults, war sündenbewusst trotz unaufhörlichen Sündigens, war also dem Katholizismus durchaus zugetan und sah in ihm Leben und Tod in einer großen barocken Geste umfasst." Vor seinem 87. Geburtstag hält Fischer fest, dass er selbst sich "viel zu selten" Zeit für seine "literarische Tätigkeit" genommen habe, weil an materielle Bedürfnisse dachte, sei seine eigene "künstlerische Existenz" so oft "überschattet" gewesen – und bekennt zugleich: "Meine Lebenslust ist so wach wie eh und je."

Knapp ein Jahr später stirbt Wolfgang Georg Fischer, Kunstkenner und Schriftsteller, kurz vor Vollendung seines 88. Lebensjahres in Wien. Dieses wunderbar erzählte Buch erinnert an das bewegte Leben des geistreichen, lebens- und weltklugen Kunsthistorikers.

Die Rückseite der Bilder
Die Rückseite der Bilder
240 Seiten, gebunden
EAN 978-3990142325

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