Kommentare zum apokalyptischen Zeitgeschehen
Im Original schon 2022 - also noch vor Trump II - erschienen, nimmt der slowenische Philosoph doch die wesentlichen Probleme vorweg, mit denen wir uns auch heute (2025) immer noch konfrontiert sehen: ein Clown auf Ketamin (Copyright: Claude Malhuret). Was bezüglich der Paradoxien (unserer Zeit) nicht weiter überrascht, allerdings doch sehr, was die Mehrlust betrifft.
Von der Katastrophe zur Apokalypse
Die Apokalypse (altgriech.: Enthüllung) könnte z. B. so aussehen: Pandemie, globale Erwärmung, soziale Spannungen, die Aussicht auf die vollständige Kontrolle unseres Denkens etc. Oder ist unsere Realität bereits postapokalyptisch? Im Austausch für unseren Verzicht bekämen wir eine pervertierte Lust am Verzicht selbst, einen Gewinn im Verlust, schreibt Slavoj Žižek. Diese pervertierte Lust nannte Lacan Mehrlust, die Žižek nun als Mehrwert im Sinne Marxens interpretiert, also als ein "Mehr", ein Surplus, ein Überschuss. "Objet a" bei Lacan, Mehrwert als "plus-de-jouir", "gerade das Element, die Perfektion zu beeinträchtigen scheint, schafft selbst die Illusion der Perfektion, die es beeinträchtig", so Žižek. In der Folge setzt er sich mit der "subjektiven Destitution" auseinander, die im Schlusskapitel, "Finale", gipfelt. Der Kapitalismus ist heute viel revolutionärer als die traditionelle Linke, wenn wir bedenken, dass er eigentlich die letzte Alternative gegen Autoritarismus, Dogmatismus und Staatssozialismus darstellt. Das 21. Jahrhundert ist nämlich nicht mehr in die Dichotomie Kapitalismus vs. Kommunismus sowjetischer Prägung gespalten, sondern in Republik vs. Diktatur, Demokratie vs. Autokratie u. ä. In China ist diese Spaltung besonders frappant, dort bedeutet "Kommunismus" Kapitalismus 996, von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends 6 Tage die Woche. Die "Ideologie der freien Wahl" macht aber auch die "freie Welt" nicht freier. Andauernd müssten wir Entscheidungen treffen, für die wir meistens nicht einmal ausreichend qualifiziert wären, bemerkt Žižek, die Klassenteilung wird aufgelöst und wir werden alle zu "Selbstunternehmern". "Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht", monierten schon Marx/Engels über den Kapitalismus. Aber ob uns die bevorstehende Katastrophe wirklich helfen wird, die nötige Transformation unserer Gesellschaft zu bewerkstelligen, das bleibt auch für Žižek noch offen.
À ceux qui m'aiment
Von WallStreetBets über die Psychoanalyse hin zu Hegel und Lacan in den Cyberspace führt Žižek seine Leser und begeistert für Theorie, aber auch die tägliche Praxis. Gerne veranschaulicht Žižek seine Ausführungen mit Filmen, etwa Parasite oder Joker, aber auch mit Anekdoten aus der griechischen Mythologie, etwa Parrhasios und Zeuxis, beide Maler, die in einen Wettstreit treten. Erster malt einen Obstkorb, den die Vögel besuchen, letzterer einen Vorhang, der noch überzeugender wirkt, da er einen Schleier malt, sodass "der Anschein entsteht, dahinter liege ein Inhalt verborgen". Žižeks Ausführungen zu dem slowenischen Sprichwort "Kurc te gleda" gehören zu einem der amüsantesten Kapitel, ebenso wie natürlich seine Interpretation von Todd Phillips' Joker. "That agony is your Triumph" heißt es in Joan Baez' "Here's to you" und Žižek bringt damit den Tod der Märtyrer des vergangenen Jahrhunderts auf den Punkt, wenn er etwa Che Guevara in die christliche Heilserwartung integriert (übrigens das einzige Foto in dem 400 Seiten starken Buch), Sacco und Vanzetti hinzufügt oder sogar Christus selbst zitiert: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Zu Höchstform läuft Žižek auf in 3. Kapitel, "Mehrlust oder warum wir unsere Unterdrückung genießen", wenn er Ragnar Lodbrok aus der Serie Vikings denselben Märtyrertod sterben lässt, wie die zuvor genannten, weil er weiß, dass er nur so gegen die Engländer und die Eigenen gewinnen kann. Sein Wunsch zu sterben macht ihn unsterblich. "Dieu est le seul être qui, pour régner, n'ait même pas besoin d'exister" und so wie Gott inszeniert sich auch Ragnar sein Vermächtnis. "Die einzige Möglichkeit, Vollkommenheit zu erreichen, besteht darin, sich in die Leere des Nichtseins zu versenken", so Zizek.
Lapalissade oder der Mut der Hoffnungslosigkeit
"Ne pas ceder sur son désir" wird ihm zum Motto, wenn er "Mehrlust" in diesem Kapitel definiert als seine Entfremdung zu genießen. Im "Finale" betitelten Schlusskapitel wird die "subjektive Destitution" zu einer politischen Kategorie. Denn innerhalb alles Seienden, sind wir, der Mensch, die eigentliche Katastrophe. Der einzige "Kontakt", den wir mit dem Realen unabhängig von uns selbst hätten, sei gerade die Trennung von ihm, die radikale Ver-rückung, die Heidegger Katastrophe nennt. "Das Paradoxe ist, dass das, was uns mit dem Realen an sich verbindet, ausgerechnet die Ecke ist, die wir als unsere Trennung von ihm empfinden." Mit "Les non-dupes errent" nimmt Žižek schließlich den Faden von Lacan wieder auf und zeigt, dass diejenigen Skeptiker, die der öffentlichen Katastrophenerzählung misstrauen und ein tiefer liegendes Komplott vermuten, sich am meisten irren, "weil sie den eigentlich ursächlichen Prozess übersehen". Ja, wir fühlen den Schmerz, schreibt er, aber wenn wir diese Lust empfinden, dann ist es genau das, was Lacan als juissance bezeichnet, "die Lust am Schmerz". Der "destruktive Nihilismus" der einer Figur wie dem Joker umgehängt werde, beschreibe genau den Moment des Todestriebs, der den Raum zur Sublimierung öffne. Joker, der Film zeige uns das Amerika, das uns ein Trump beschert habe, schreibt Žižek, ein Land ohne soziales Mitgefühl, ohne Krankenversicherung und Verachtung für die Armen. Es wäre aber eine Beleidigung für den Joker, ihn mit Trump zu vergleichen, wie Žižek im obszönen Clownvergleich betont. "Weißt du, was mich wirklich zum Lachen bringt? Ich hab' immer gedacht, dass mein Leben eine Tragödie ist. Aber jetzt wird mir klar, es ist 'ne beschissene Komödie."
Alles Verdrängte kehrt eben in verzerrter Form zurück, das wusste schon Freud. Und dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen, finden wir bei Marx: Das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Eine spannende und unterhaltsame Lektüre eines der größten lebenden Philosophen unserer Zeit voll erquicklicher Anekdoten und witzigen Kommentaren zum apokalyptischen Zeitgeschehen.

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