Männerbünde und Antiamerikanismus
Bereits 1997 legt Wladimir Putin in seiner Doktorarbeit dar, dass dem Export von Erdgas und Erdöl bei der Durchsetzung außenpolitischer Ziele eine wichtige Rolle zukommt, wozu der Energiesektor unter staatlicher Kontrolle stehen muss.
Nach seinem Amtsantritt als Präsident der Russischen Föderation lässt er bald neun der elf Spitzenmanager von Gazprom durch Vertraute austauschen, so Dimitri Medwedjew als Aufsichtsratsvorsitzenden. Unter Putin wird Gazprom immer mächtiger und expandiert in die Ölbranche. Nach fünfzehn Jahren beschäftigt der Konzern 500'000 Mitarbeiter, besitzt eine Bank, eine Fluglinie, eine Versicherung, einen Fernsehsender und eine 1,7 Milliarden Euro teure Konzernzentrale in St. Petersburg. Putin lässt den Ölkonzern Jukos zerschlagen, dessen Filetstücke Rosneft bekommt, wodurch der staatliche Konzern zu Russlands größtem Ölproduzenten wird.
Mithilfe deutscher Politiker und steigender Nachfrage gelingt es Gazprom, auf dem ursprünglich diversifizierten deutschen Gasmarkt zum wichtigsten Lieferanten aufzusteigen.
Mithilfe deutscher Politiker und steigender Nachfrage gelingt es Gazprom, auf dem ursprünglich diversifizierten deutschen Gasmarkt zum wichtigsten Lieferanten aufzusteigen. 2015 wird der Konzern zum alleinigen Eigentümer des Gashändlers Wingas, der direkt an Endkunden verkauft. Außerdem übernimmt Gazprom den größten deutschen Gasspeicher in Rehden und weitere Speicher. Gazprom bekommt eine marktbeherrschende Stellung. Mit den Pipelines Nord Stream 1 und 2 werden zudem "missliebige Transitstaaten" ausgeschaltet (S. 89). Im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten werden in Deutschland Pläne für ein Flüssiggas-Terminal auf Eis gelegt, mit einem Marktanteil von 55% begibt man sich tief in Abhängigkeit von russischem Erdgas. Dabei ist russisches Erdgas nicht einmal extrem billig, wie allgemein angenommen und vielfach behauptet, sondern preislich dem europäischen Gasmarkt angepasst. Aber das SPD-geführte Wirtschaftsministerium unter Sigmar Gabriel bezeichnet die Pipeline-Projekte als "vernünftig" (S. 202) und wischt Bedenken vom Tisch, Russland sei nach der Annexion der Krim und der Förderung des Separatismus in der Ostukraine der falsche Partner. Gerade in Zeiten außenpolitischer Spannungen solle man kluge Geschäfte machen, "um zu zeigen, dass überhaupt noch etwas geht" (S. 203). Moskau sei immer ein verlässlicher Partner gewesen und eine Energie-Kooperation keine Bedrohung. Kanzlerin Angela Merkel stellt sich aus machtpolitischem Pragmatismus dem Willen des Koalitionspartners SPD und der deutschen Energiewirtschaft nicht entgegen.Das Engagement russischer Staatskonzerne in Deutschland hat noch einen weiteren Aspekt: Die in Russland tief verwurzelte Korruption wird nicht im Land behalten, sondern exportiert. "In der Zusammenarbeit mit Russland setzt sich die Korruption im heimischen Energiesektor fort und damit nahe am politischen System. Wandel durch Verflechtung hatte SPD-Außenminister Steinmeier seine Strategie genannt. Doch die Verflechtung, die Demokratie in Russland ermöglichen sollte, führte dazu, dass Teile der deutschen Politik- und Wirtschaftselite manipuliert wurden. Eine wahrhaft perverse Umkehr von Ziel und Resultat." (S. 279) Und eine sehr gefährliche …
Zu dieser Entwicklung kommt es nicht von selbst. Im Gazprom-Reich hat keineswegs nur der einflussreiche Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder einen hochdotierten Posten, sondern noch andere Politiker und ehemalige Stasi-Mitarbeiter, so Matthias Warnig. Geschäftsführer der Gazprom Germania ist der frühere DDR-Politiker Hans-Joachim Gornig.
Die Autoren Reinhard Bingener und Markus Wehner skizzieren nach akribischen Recherchen ein weit verzweigtes Netzwerk von Schröder-Vertrauten und anderen Russland-Affinen in Politik und Wirtschaft, die sich als Lobbyisten für Russland betätigen.
Wer sich kurz nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine wunderte, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Kiew nicht willkommen war, der versteht nach Lektüre dieses Buchs die "allergische" Reaktion der Ukraine auf seine Person.
Wer sich kurz nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine wunderte, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Kiew nicht willkommen war, der versteht nach Lektüre dieses Buchs die "allergische" Reaktion der Ukraine auf seine Person. Denn auch Steinmeier gehört zum Schröder-Netzwerk und zu seinen engsten Vertrauten, genauso wie Heino Wiese, Sigmar Gabriel, der spätere niedersächsische Ministerpräsident und Wirtschaftsminister im Kabinett Merkel, in dessen Amtszeit die Übernahme des Rehdener Gasspeichers durch Gazprom fiel, und die Staatssekretärin und spätere Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries. Hinzu kommen noch Schröder-Freunde, die weniger ins eigentliche "Netzwerk" integriert sind, sich aber genauso aktiv für Russland engagieren und Verständnis für Putin und seine Politik propagieren, auch noch nach der russischen Annexion der Krim, so der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil oder Schröders Ex-Frau Doris Schröder-Köpf. Auch der heutige SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil gehört zu dem Kreis der langjährigen Vertrauten (S. 21). Der niedersächsische Landesverband wird innerhalb der SPD zunehmend mächtiger und damit erhält seine Politik wachsenden Einfluss."Insbesondere die Sozialdemokraten Schröder, Steinmeier und Gabriel haben die von Anfang an erkennbare und danach stetig anschwellende Aggressivität Russlands gegenüber dem Westen und Deutschland verkannt, verharmlost, streckenweise sogar negiert."
Das Argument, man habe nicht ahnen können, welchen Weg Russland später einschlagen würde, lassen die Autoren nicht gelten: "Insbesondere die Sozialdemokraten Schröder, Steinmeier und Gabriel haben die von Anfang an erkennbare und danach stetig anschwellende Aggressivität Russlands gegenüber dem Westen und Deutschland verkannt, verharmlost, streckenweise sogar negiert. Tschetschenien, Georgien, die Krim, die Morde [an politischen Gegnern] – Warnzeichen gab es viele." (S. 281)Vor dem Hintergrund dieses Buchs erscheint es wenig verwunderlich, dass die deutsche Sozialdemokratie sich mit Waffenlieferungen an die Ukraine derart schwer tut und einer möglichen Niederlage Russlands in seinem Krieg gegen die Ukraine im Grunde ihres Herzens ambivalent gegenübersteht.
Nicht unerwähnt bleiben soll hier, dass sich auch Politiker von FDP, CDU und CSU – als Beispiel seien hier nur die Vorsitzenden des Petersburger Dialogs, Lothar de Maizière und Ronald Pofalla, genannt – für eine unkritische, beschwichtigende und verharmlosende Politik gegenüber Moskau einsetzten.
Erschreckend ist, in welchem Ausmaß ideologische Voreingenommenheit, gepaart mit wirtschaftlichen Vorteilen (bei Schröder, Wiese und Gabriel), über Jahrzehnte hinweg die deutsche Politik bestimmte und mit welcher Skrupellosigkeit sich führende Politiker zum Nachteil ihres Landes als Lobbyisten für ausländische Interessen betätigten.
Bleibt nur zu hoffen, dass das Buch viele Leser findet und diese Enthüllungen nicht einfach ignoriert und totgeschwiegen werden, sondern zu Konsequenzen führen.
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