Thomas de Maizière, Karl-Ludwig Kley: Die Kunst guten Führens

Führung und Verantwortung – Erfahrungswissen aus Politik und Wirtschaft

Während etwa in den Vereinigten Staaten von Amerika Begriffe wie "leader" und "leadership" im täglichen Sprachgebrauch verwendet werden, um die Aufgaben von leitenden Politikern zu beschreiben, herrschen in Deutschland beim Gebrauch des Begriffs noch immer Vorbehalte, die sich historisch erklären lassen. In der Politikwissenschaft wird zwar über Führungsstärke gesprochen, aber nicht von Führern. Das ist heute mit Blick auf Entscheidungsprozesse in Politik und Wirtschaft durchaus sachgerecht, weil die Fokussierung auf eine einzige prägende Persönlichkeit diese nur ungemäß überhöhen würde. Der ehemalige Innen- und Verteidigungsminister Thomas de Maizière und Karl-Ludwig Kley, Aufsichtsratsvorsitzender von E.ON SE, geben in ihrem Buch Einblicke in das Agieren innerhalb von Politik und Wirtschaft, diskutieren Erwartungshaltungen, Strukturen der Macht und stellen Regeln des verantwortlichen Handelns vor, ohne philosophische Exkurse theoretischer Art. Welchen Anforderungen müssen etwa ein Politiker und ein Unternehmer heute gerecht werden?

Ein "Universalrezept für erfolgreiche Führung" könne es nicht geben: "Führung bedeutet, Macht zu haben und auszuüben. Nur mit Macht lassen sich Dinge verändern. Natürlich wird die Ausübung von Macht in Politik und Wirtschaft vielfach kontrolliert." Der Begriff der Macht wird mitunter auch dämonisiert, aber Machtverhältnisse sind Realitäten. Emotionen und Aggressionen werden bisweilen geschürt, ebenso hegen Beteiligte wie Unbeteiligte überzogene Erwartungen an vermeintlich oder tatsächlich Mächtige. Zugleich bestehen Entwicklungen in Gesellschaft und Politik, die auch die Unternehmenswirklichkeit verändern. So berichtet Kley: "Für mich sind Geschlecht, Herkunft usw. eigentlich immer unerheblich gewesen. Es kam mir auf den Menschen an. Eine solche Position ist in Zeiten des Genderns unhaltbar. Das Geschlecht (m/f/d) ist zu einer zusätzlichen bestimmenden Größe geworden." Andere Einstellungen könnten für Diskussionen sorgen. Es gebe "keine absolute Antwort auf ethische Fragen". Letztlich aber könnten Unternehmer sich nicht "aus allen Ländern zurückziehen, die ein anderes Wertegerüst" haben. Als Beispiele nennt Kley Russland und China. Europäische Unternehmen seien auf "Vorprodukte aus diesen Ländern angewiesen", China besitze zudem die "Technologieführerschaft". Für global tätige Konzerne gilt demnach nicht der moralische Imperativ der Menschenrechte. Ungeschminkt formuliert Kley: "Leichter tun sich alle, Politik, Wirtschaft, Kulturschaffende, wenn ein Land weniger Bedeutung hat; ich denke an die Fälle Südafrika zur Zeit der Apartheid oder Myanmar. Aber das kann nicht ernsthaft ein Kriterium für Investitionsentscheidungen sein."

Der ehemalige Bundesminister de Maizière klärt über die Arbeitsweise in der Politik auf. Minister müssen etwa nicht die "besten Sachbearbeiter" in ihrem Zuständigkeitsbereich sein: "Was man mitbringen muss, wenn man Spitzenpolitiker werden will, das ist Zutrauen zu sich selbst, den Herausforderungen eines solchen Spitzenamtes gewachsen zu sein. Und man muss einen Macht- und einen Gestaltungswillen mitbringen, der über den Wunsch hinausgehen muss, an persönlicher Bedeutung zu gewinnen." Was Thomas de Maizière ausführt, klingt oft grundsätzlich und auch grundsätzlich vernünftig wie plausibel. Indessen bleibt hier noch zu ergänzen, dass eine gewisse Immunisierung gegenüber medialen Inszenierungen und Angeboten erfolgen muss. Die von ihm selbst verkörperte Tugend der Nüchternheit etwa ist auch in der heutigen Politik alles andere als selbstverständlich. Wichtig sei Loyalität, nicht nur gegenüber der Partei, der Regierung, Kollegen wie Mitarbeitern, sondern auch "gegenüber der Sache, also dem Kernanliegen des Aufgaben- und Zuständigkeitsbereichs, der einem anvertraut wird". Seriosität und Höflichkeit seien wertzuschätzen und "machen das Leben für alle Beteiligten leichter". Das gilt nicht nur für das politische Leben, auch Akteure in anderen Bereichen – etwa in Universitäten, Behörden oder Ämtern – haben verschiedentlich Intrigen und die sprungbereite Feindseligkeit Einzelner erleben müssen. 

De Maizière spricht auch von Demut: "Politische Führung bedeutet also, etwas zu beginnen, was man voraussichtlich nicht zu Ende bringen kann." Abstände seien zu wahren, eine "innere Distanz zu den Aufgeregtheiten des politischen Parketts, zu Lobbyisten und zu glamourösen Events" sei notwendig – und gewiss auch nicht einfach, besonders dann nicht, wenn diese Art Öffentlichkeit als irisierend und faszinierend erlebt wird. Beeinflussen lassen dürfe sich ein Politiker auch nicht zu sehr von der öffentlichen Meinung, die Thomas de Maizière als instabil beschreibt. Stimmungen und Stimmungsmache seien allgegenwärtig. Notwendig sei es, bisweilen auch "gegen eine öffentliche Meinung" Politik zu betreiben. Es gelte also, in Entscheidungsprozessen das "richtige Maß zu finden zwischen der Beachtung öffentlicher Meinung einerseits und der Durchsetzung von Vorhaben sogar gegen die öffentliche Meinung andererseits." Mit einem besonderen Blick auf die Corona-Zeit schlägt er vor, einen "parlamentarisch kontrollierten Ausnahmezustand im Grundgesetz" zu verankern: "Politische Führung bedeutet, in Krisen nicht als Erstes die Zuständigkeit zu prüfen oder gar abzulehnen, weil die Übernahme von Verantwortung kompliziert und schwer ist, sondern entschlossen Verantwortung zu übernehmen, wenn dies erwartet wird und wenn man einen Beitrag zur Lösung der Krise leisten kann." Hier ist zu erwägen, dass die Wahrnehmung der Verantwortung auch dann bestehen könnte oder müsste, wenn dies von der Bevölkerung nicht erwartet wird. Das Handeln des Polizeisenators Helmut Schmidt am 16. Februar 1962, also während der Sturmflut in Hamburg, könnte die These des Autors belegen: "Die Krise sucht sich die Geeigneten, nicht die formal Oberen." Bemerkenswert und wichtig erscheint, dass Thomas de Maizière über die "Haltung" schreibt, die von politischen Amtsträgern erwartet werde: "Ein Minister wirkt als Vorbild, ob er will oder nicht." Respektvolles Auftreten sei mehr als eine Stilfrage: "Politische Führung kann nur dann wertvoll und wirkmächtig sein, wenn der Umgang miteinander und gegenüber der Bevölkerung von Respekt getragen ist." Passend hierzu erscheinen auch Karl-Ludwig Kleys Bemerkungen über die angemessene Art der Kommunikation. Ironie sei "nicht empfehlenswert": "Die Grenze zum Zynismus liegt im Empfinden so mancher niedriger, als sie beim Absender ist. Dann kann Ironie schnell verstörend wirken. Im Übrigen gibt es Kulturen, die völlig ohne Ironie auskommen, Japan zum Beispiel." 

Am Schluss des Buches formulieren beide Autoren zehn Grundsätze für gute Führung. Einer davon lautet: "Gute Führungskräfte wissen, dass sie den Stab weitergeben werden; dass ihre Taten den Fortbestand und den Erfolg der Institution auf Dauer sichern sollen und nicht nur für die eigene Amtszeit; dass ihre Leistung auch danach beurteilt wird, dass sie einen Beitrag dazu leisten, der nachfolgenden Generation Raum zur Gestaltung zu ermöglichen." Karl-Ludwig Kley und Thomas de Maizière stellen anschaulich Grundlagen des Führens in Wirtschaft und Politik vor. Diese Einblicke, Ansichten und Einsichten sind bereichernd, lesens- und bedenkenswert.

Die Kunst guten Führens
Die Kunst guten Führens
Macht in Wirtschaft und Politik
288 Seiten, gebunden
Herder 2021
EAN 978-3451387159

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