Essen ist Leben
In allen gesellschaftlichen Klassen gehört die Zubereitung und der Verzehr von Nahrung zu dem wesentlichsten Element des Daseins. Warum wohl? Hinzu kommt, dass es dabei in der Regel nicht alleine um die Aufnahme von Nährstoffen geht, sondern generell jener gelobten zwischenmenschlichen Kommunikation sowohl während jener Produktionsphase, als auch ihrer Endbestimmungszuführung dient. Die Vielfalt aller Gerichte und nicht zuletzt unterschiedlichster Geschmäcker sind ebenfalls entscheidende Aspekte, letztendlich Bestandteil aller Küchen. Genannter Umstand ist prinzipiell nicht alleine jenen historisch sich jeweils ändernden, sogenannten Eliten vorbehalten. Es gilt gleichermaßen für das Leben der Unterdrückten, der Armen.
Problem Letztgenannter: Man benötigt die entsprechenden Ressourcen. Jene sind in allen Völkern für Verelendete mehr als beschränkt. Nahrung ist rar. Am Rande: Die aktuell ökonomisch erfolgreiche Antifettspritze betuchter Bürger selbsternannten Wohlstands (nicht alleine in der westlichen Hemisphäre, sondern beispielsweise auch in gewissen Kreisen der VR China) ist faktisch das umgekehrte Spiegelbild tatsächlicher Armut der Welt.
Ferner bestaunt man heutzutage sicherlich hin und wieder, wie sich gleichermaßen die finanzielle als auch intellektuelle Bourgeoisie so intensiv mit der sogenannten Sterneküche beschäftigt als auch identifiziert. In diesem selbstverliebten System geht es oftmals weniger um Nuancen geschmacklicher Erlebnisse, als vielmehr, dem Showbusiness der Kochenden als auch Essenden zu folgen.
Viel anspruchsvoller dagegen darf die authentische, oftmals aus unendlicher Not geborene Küche der Völker abseits der kleinen Kreise Herrschender gelten.
Huguette Couffignals erstmals 1970 im Original und acht Jahre später in deutscher Sprache erschienenes Buch "Die Küche der Armen" behandelt genau dieses Thema. Damals wie heute ein Abbild von Realität genannter Mehrheit der Menschen weltweit.
Gleichermaßen interessant als auch erstaunlich darf die Tatsache gelten, daß es der März-Verlag wagte, 2023 eine nahezu unveränderte Neuauflage des Buches auf den umkämpften Büchermarkt (man denke aktuell an die Übernahme von Suhrkamp) zu werfen. Mit Blick auf die Halbwertszeit heuer erscheinender Werke muß man gerade wegen des Inhaltes das gelungene Experiment loben.
Über die Autorin wird wenig gewusst. Weder liegt dem Verlag ein Foto von Couffignal vor, noch ist ihr Geburtsjahr bekannt. Es gilt allerdings als belegt, dass sie - bis auf Australien - alle Kontinente der Welt bereist haben muss. Diese Exklusionen bilden offensichtlich auch dann die gedruckten Grundlagen genannten Buches.
Das authentisch starke Werk besteht aus einer bis heute theoretisch als auch praktisch nützlichen Rezeptsammlung weiter Teile der Welt. Als besondere, intellektuelle Bonbons, welche bürgerliche Rezensenten eher verschämt erwähnen, sind die ethnologischen Betrachtungen ihrer Verfasserin. Sie folgt dabei einer klaren, von Cervantes Don Quijote übernommenen Linie: "Es gibt nur zwei Familien auf der Welt: Die Reichen und die Armen." (S. 11)
Couffignal interessieren ausschließlich die Armen, was sie alleine deshalb nicht nur interessant, sondern extrem sympathisch macht. Unzubeachtbares Gelumpe der Reichen und gleichermaßen vielfach Dummen (heute à la Musk oder Trump) verfügt eh über Macht sowie Mittel, ihre Fake-Sichten der Dinge aller Bereiche, auch die des Essens, zu verbreiten.
Die sehr zu schätzende Verfasserin macht klar: "Man muss gar nicht bis Mexiko gehen, um den 'Entblößten', 'Geschorenen" zu begegnen, ... Städter, Bauern, sogenannte Primitive - die gleiche Armut hält sie in ihren unerbittlichen Pranken." (S. 9) In 'unserer' westlichen Welt gehören heuer pfandflaschensammelnde Renterinnen sowie Rentner oder Kundinnen und Kunden der Tafel.
In diesem Kontext bringt uns die Weitgereiste, wie bereits erwähnt, im Stile eines ethnographischen Essays die unterschiedlichen Erscheinungen der Armut zu ihrer Zeit näher.
Seit 1970 dürfte sich im Wesentlichen die weltweite Lage der poor people nach dem Wegfall der meisten sozialistischen Staaten eher verschlechtert haben. Aktuell liegen bekannte Zahlen bei 712 Millionen Menschen, welche weniger als umgerechnet 2,15 US Dollar täglich zur Verfügung haben. Der Big-Mac-Index im Juli 2024 besagt beispielsweise, dass man selbst in Indonesien 2,46 dieser unheilvollen Währung benötigt, um eines dieser fragwürdigen Produkte zu erwerben.
Der Rezeptteil bietet die regionale Gegenwehr der Armen. Berücksichtigt werden gleichermaßen Einsichten in den kulturellen als auch geographisch geschuldeten, unterschiedlichen Umgang jener. Wie setze ich es praktisch um, nicht verhungern zu müssen? Dabei werden gleichermaßen schmackhafte, in der Regel einfache Rezepte vorgestellt, in denen sich sicherlich für jede Geschmacksrichtung etwas finden wird. Aus Perspektive bürgerlicher Küchen, beispielsweise die Deutschlands, bestimmt auch eher weniger verbreitete Speisen. Die bourgeoise Presse, die den Armen abgeneigt und ihre Speisen lächerlich machen will, zitiert gerne den "Igel, mit Lehm bedeckt zwischen zwei heißen Steinen gebacken ... Nach dem Backvorgang wird" (S. 281) Was ist das Ziel, wenn entsprechende Vertreter des Kapital-Journalismus genau so hausieren. Die Armut dem Nichtnormalen zuzuordnen? Obwohl ihre herrschenden Verhältnisse genau das produzieren!
Es sei erlaubt, ein willkürlich herangezogenes Gericht aus Spanien abschliessend herauszuheben:
Knoblauchsuppe
Ein paar Knoblauchzehen mit in Würfel geschnittenem Schinken in Öl schmoren. Einige Weißbrotstücke und frisch gestampfte Tomaten dazugeben, würzen, roten Pfeffer einstreuen, mit Brühe oder Wasser aufgießen und kochen lassen. Kurz vor dem Servieren mit einem geschlagenen Ei binden. (S. 184)
Es mundet!

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