Über Antisemitismus
Religion und Gewalt verfügen über eine lange gemeinsame Geschichte. Konflikte, hartnäckige Vorurteile überdauern, auch jeden noch so gut gemeinten interreligiösen Dialog. Abdel-Hakim Ourghi analysiert den Antisemitismus und folgt den Spuren des Judenhasses im Koran. Er bekräftigt einleitend, dass er weder von polemischen Absichten noch von einer Islamfeindlichkeit geleitet sei. Kantisch geprägt wünscht er sich die Abkehr so "vieler Musliminnen und Muslime" von einer "weinerlichen Opferhaltung" und den Ausgang jener aus der "selbstverschuldeten Unmündigkeit". Damit positioniert sich der Autor als Aufklärer und zeigt sich als Freund einer "Islamreform".
Erinnerungsarbeit und Koranlektüre wird in diesem Buch mit persönlichen Erfahrungshorizonten verbunden. Vermittelt werde, "dass die Hamas und die Hisbollah Befreiungsbewegungen seien, obwohl sie terroristische Gruppierungen sind". Sowohl Israelfeindschaft als auch antisemitische Positionen seien bei Vertretern dieser Politikorganisationen verbreitet. Ourghi selbst sei ein "indoktrinierter Antisemit" gewesen. Für kritische Auseinandersetzungen gab es keinen Raum. Das Erziehungsprogramm sei eindeutig gewesen. Der gebürtige Algerier habe lange Zeit lernen müssen, dass Juden nicht die "Feinde der Muslime" seien, sondern einfach "nicht anders als andere Menschen". Der "offizielle Diskurs" in muslimischen Ländern allerdings pflege den "ewigen Opferstatus". Ourghi setzte sich kritisch mit seiner kulturellen Sozialisation auseinander. Er schreibt: "Jedoch machen nicht alle Muslime diese Erfahrung, bei dem sie ihren Judenhass infrage stellen und kritisch mit der eigenen Erziehung umgehen können. Der islamische Antisemitismus ist unter muslimischen Schülern und Erwachsenen in westlichen Ländern sehr verbreitet. Tendenz steigend." In Erweiterung hierzu ließe sich ergänzen, dass antisemitische Haltungen auch unter Deutschen – und dies etwa besonders unter Jugendlichen – fortbestehen. Die prominente Klimaaktivistin Greta Thunberg etwa, eine Ikone der höchst problematischen und gleichwohl vielfach hofierten "Fridays for Future"-Bewegung, äußerte sich im vergangenen Herbst israelfeindlich und nach Ansicht von Felix Klein, des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, auch antisemitisch. Wer also unkritisch Greta Thunberg huldigt, reproduziert möglicherweise auch unreflektiert deren Bekenntnisse.
Ourghi benennt die Gefahren des "islamischen Antisemitismus", die in der Erziehung der Kinder präsent seien: "Aus Angst vor dem Vorwurf der pauschalisierenden Islamophobie wird lieber vom islamistischen Antisemitismus statt vom islamischen gesprochen. Islamischer Antisemitismus ist nicht nur ein historisches Produkt europäischer Vordenker des Antisemitismus oder Folge des Nahostkonflikts, vielmehr wird er auch theologisch legitimiert. Ich sehe die Gefahr, dass muslimische Kinder in Deutschland bereits in der Familie und in den Moscheegemeinden gegen Israel und gegen jüdische Menschen aufgehetzt werden. Und das ist eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben aller Menschen in Deutschland."
Der Prophet Muhammad wollte, dass Juden und Christen ihn als Gesandten Gottes anerkannten, als Stifter einer neuen monotheistischen Religion. Die Bekehrungsversuche waren allerdings nicht erfolgreich. Zwar verweist Ourghi auch auf "positive Einstellungen" gegenüber den Angehörigen der monotheistischen Religionen Judentum und Christentum, aber ihnen wurde auch vorgeworfen, dass sie nicht an die "neue Offenbarung" glaubten, "obwohl sie doch Zeugen der göttlichen Wahrheit" seien. Freundschaft mit Juden und Christen wurde untersagt: "Wenn sich einer unter den Muslimen ihnen anschließe, gehöre er zu ihnen und nicht mehr zur Gemeinschaft der Muslime (Koran 5:51)." Später werden die Juden nicht allein als "Konkurrenten der neuen Religion" dargestellt, sondern auch als eine "Gefahr für das neue Gemeinwesen der Muslime": "Folglich müssen sie bekämpft werden." Nahezu immer galten Juden als "Menschen zweiter Klasse mit weniger Rechten". Neben zahlreichen historischen Beschreibungen bleiben aber auch Fragen offen. Ourghi spricht von einem "ewigen Antisemitismus", der als "kulturelles Produkt unter den meisten Muslimen" noch immer Realität sei: "Die muslimischen Gesellschaften scheinen dazu verwünscht zu sein, einen Feind als Sündenbock für ihre internen politisch-gesellschaftlichen Probleme zu suchen. Die Verschwörungstheorien, die in der islamischen Welt überall Unterstützung genießen, sind tatsächlich Projektionen eigener Fantasien. Sie hindern sie daran, die Dunkelheit ihrer Geschichte und die desolate Lage ihrer Kultur zu erhellen." Er fordert eine Auseinandersetzung mit dem "muslimischen Antisemitismus".
Adbel-Hakim Ourghi hat ein Buch vorgelegt, das immensen Diskussionsstoff birgt. Er spricht als Kenner und Insider, neigt aber auch zu Verallgemeinerungen. Sind etwa die "muslimischen Gesellschaften" wirklich "verwünscht" – und wenn ja, von wem? –, sich Feinde zu suchen, um von ihren innenpolitischen Problemen abzulenken? Auch in nichtmuslimischen Ländern werden Vorurteile kultiviert, so in Deutschland etwa gegenüber Migranten. Dass jegliche Formen und Spielarten von Antisemitismus unerträglich sind, das ist unbestreitbar. Aufklärung ist notwendig, Ourghi leistet einen wichtigen Beitrag dazu. Wer aber in Deutschland über den muslimischen Antisemitismus spricht, darf nicht vergessen, dass auch der deutsche Antisemitismus und die deutsche Muslim- oder Islamfeindlichkeit fortbestehen. Beispiele dazu aus dem Alltag gibt es genug, leider. Auch viele deutsche Staatsbürger, die noch Vorurteile gegenüber Fremden oder Andersgläubigen hegen, halten sich dennoch für aufgeklärt und vernünftig.

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