Hammer der Angst im Herzen
In "Brennendes Geheimnis" macht ein Baron Urlaub am Wiener Hausberg, dem Semmering, und bemitleidet vorläufig hauptsächlich sich selbst über dessen vermeintliches Misslingen, ob der mangelnden Gesellschaft. "In ihm war keine Neigung, sich selber allein gegenüberzustehen, und er vermied möglichst diese Begegnungen, weil er intimere Bekanntschaft mit sich selbst gar nicht wollte. Er wusste, dass er die Reibfläche von Menschen brauchte, um all seine Talente, die Wärme und den Übermut des Herzens aufflammen zu lassen, und er allein frostig und sich selbst nutzlos war, wie ein Zündholz in einer Schachtel." Gekonnt weiß Stefan Zweig, der große österreichische Erzähler, sein sprachliches Bild als Metapher für den Geisteszustand seines Barons einzusetzen und erobert so sehr schnell das Interesse des Lesers. Auf der Suche nach Unterhaltung, einem "Spiel", bandelt er mit einer überreifen Jüdin an, deren Sohn Eduard ihm genügt, um das Feuer in der Dame zu entfachen. Minutiös und voller Einfühlsamkeit beschreibt Zweig dann aber im Großteil der Geschichte nicht mehr das Gefühlsleben des Barons, sondern das des kleinen Eduard, der voller Neugierde das entdecken möchte, was Erwachsene im Dunkeln so gerne tun und er einfach nicht zu erfassen vermag. "Es ist ja so unsäglich leicht, Kinder zu betrügen, diese Arglosen, um deren Liebe so selten geworben wird", beschreibt Zweig die Gedanken des Barons, der sich alsbald aber noch sauber täuschen wird.
Auch in der schlichtweg mit "Angst" betitelten zweiten Geschichte der hier vorliegenden Sammlung des Erzählers Stefan Zweig werden die Wehwehchen einer ganzen Klasse detailliert geschildert und amüsant in Szene gesetzt. In "Angst" geht es um die der Bourgeoisie zugehörigen Frau Irene, die nach einem Stelldichein mit ihrem Geliebten von dessen Frau belagert und schließlich mehrmals erpresst wird. Frau Irene ist allerdings selbst verheiratet und das noch dazu mit einem Richter, von dem sie erhofft, dass er sie genauso milde beurteilen wird, wie ihre gemeinsame Tochter, die ihr Schaukelpferd im Ofen verheizt hat. "Das Weinen darf dich nicht irremachen: es ist nur jetzt herausgefahren, und früher stak es drinnen. Und innen tut’s ärger als draußen. Wär sie nicht ein Kind...", sagt der Richter als Vater verständnisvoll zu seiner untreuen Gattin, die einfach nicht weiß, wie sie es ihm gestehen soll, was ihr durch eigenes Verschulden zugestoßen ist. Durch die Erziehung ihrer gemeinsamen Tochter will sie erfahren, was ihren Mann am meisten erregt und er gesteht es ihr sogleich: "Diese kleine Angst vor dem Wort finde ich kläglicher als jedes Verbrechen", denn jeder, der eine Verfehlung begangen hat leidet schließlich mehr am Nichtgestehen als am Geständnis und seiner Bestrafung. So glaubt es jedenfalls der gehörnte Ehemann, der am Ende den "Hammer der Angst auf dem Herzen" wieder zurück in die Abstellkammer hängt. Und dort soll er auch bleiben.
Stefan Zweig vermag es wie kaum ein anderer, das Seelenleben der bürgerlichen Klasse des Fin de Siecle in Wien bloßzulegen und so treffend zu beschreiben, dass man darin seinen nächsten Nachbarn zu vermuten glaubt. Auch in den weiteren in diesem Band versammelten Erzählungen wie "Der Amokläufer" und "Die unsichtbare Sammlung" sowie der berühmten "Schachnovelle" zeigt Zweig, wie man den Leser bei der Stange hält und die Spannung so lange aufrechterhält, bis die letzte Seite umgeblättert ist. Eine wunderbare Sommerlektüre.
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