Bachman und Celan: Die geträumten Geliebten
Die österreichische Dokumentarfilmerin Ruth Beckermann hat aus dem Briefwechsel der beiden "Geträumten", der 2008 unter dem Titel Herzzeit bei Suhrkamp erschien, einen Film gemacht. Als Sprecher hat sie ein kongeniales Paar gefunden: den Burg-Schauspieler Laurence Rupp und die Musikerin Anja Plaschg (Soap & Skin), die sie nicht nur beim Lesen der Briefe, sondern auch in den Drehpausen gefilmt hat. Die Korrespondenz der beiden bedeutendsten deutschsprachigen Dichter der Nachkriegszeit, Ingeborg Bachmann und Paul Celan, die zwischen 1948 und 1961 geschrieben wurden, bekommt so zwei lebendige und junge Gesichter. Auch Bachmann und Celan hatten sich in diesem Alter kennengelernt: sie war 21 und er 27 Jahre alt. Das war 1948. "Ich habe alles auf eine Karte gesetzt und ich habe alles verloren", liest die Plaschg die Bachmann und muss selbst dabei weinen. Das Schreiben war damals auch physisch ein wirklich kraftvoller Akt, in eine Schreibmaschine reinzuhämmern, das erfordert viel Ausdauer. Da konnte es schon mal sein, dass man einfach nicht die Kraft dazu aufbrachte oder zu schwach war, das Papier einzuspannen, wie Bachmann an Celan schreibt.
Liebe nach dem Krieg
Plaschg und Rupp lesen, der Aufnahmetechniker kommt ins Studio und richtet die Mikrophone. "Ich habe so viel Sehnsucht nach ein bisschen Geborgenheit, dass ich Angst davor habe, sie zu finden", heißt es bei der Bachmann. "Manchmal glaube ich, es ist alles ein verworrener Traum und es gibt dich gar nicht und Paris auch nicht." Er lebte damals in Paris, sie in Rom und München. Über Wien schreibt sie im März 1951: "Jetzt ist alles so still wie nach den Bombenangriffen. (...) Später einmal werden wir sowieso kein Gepäck mehr mitnehmen dürfen. (...)". Er antwortet: "Bitte komm nicht meinetwegen nach Paris wir könnten uns gegenseitig nur weh tun. Wozu? Paul." Er hatte sogar einmal den Ring zurückgefordert von ihr, der von seiner Familie stammte, sie war sich dessen Bedeutung aber immer bewusst, Plaschg raucht und liest diese Zeilen. Die Sprecher unterhalten sich darüber, was wirklich besser gewesen wäre, alles zu sagen oder zu schweigen. Er ist für ersteres, sie für letzteres.
Krieg in der Liebe
"Man hat nie das Gefühl, dass bei dieser Beziehung etwas aus Versehen herausgerutscht wäre", meint die Plaschg. Dann zeigt die Kamera Wien im Regen aus einem Taxi heraus, als Zwischenschnitt und Übergang zu neuer Lebensphase: Paul Celan heiratet. Aber nicht die Bachmann. Diese zieht nach Rom, später nach München. Eingeblendete Inserts auf einer Art Landkarte erklären das Geschehen. 1957, sechs Jahre nach ihrer Trennung begegnen sie sich auf einer Literaturtagung wieder. Und es geht wieder von vorne los. "Wir sind für immer versöhnt", sagt er beim Wiedersehen. "Aber sind wir nur die Geträumten" wiederholt die Plaschg dreimal. "Ein Wort von dir und ich könnte wieder leben", sagt Paul. Sie verlangt von ihm, seine Frau nicht zu verlassen, sie denkt dabei auch an das Kind, das er mit ihr, Giselle, in Paris hat. Aber dann: "Du kommst nach München und wir suchen gemeinsam eine Lampe aus. (...) Paul, deine Rosen waren da, als ich einzog." Er: "Ich muss dich wiedersehen, Ingeborg, ich liebe dich ja, (...) zwei Tage noch bis zur Wiederbegegnung. Eine Schiebetüre mit Punkten fährt genau auf der Höhe der Gesichter der zwei, in einem Café, Beckermann bleibt mit der Kamera drauf und filmt das mehrmals.
"Für die Wahrheit der Welt hat nur Verstand, wer ihn verliert.", soll Celan geschrieben haben, das gefällt Rupp. "Aber ich kann es dir sagen, wir wissen es, dass es für uns beide unmöglich ist, mit einem anderen Menschen zu leben", liest die Plaschg aus Ingeborg Bachmanns Brief vor. Am 29. April 1970 stirbt Paul Celan, 15 Tage später findet man seine Leiche. Er hat sich mit 49 Jahren umgebracht. Sie stirbt wegen einer brennenden Zigarette, die ihr Zimmer in Brand setzt. "Er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als mein Leben.", schreibt Ingeborg Bachmann.
Der feinfühlige Film für alle geträumten Geliebten bekam bei der Diagonale 2016 den Preis für den besten österreichischen Spielfilm und liegt nun erstmals auf DVD vor.

Träume von einem fernen Land
Das „ferne Land“ der Phantasie und Poesie, zuweilen auch der Erinnerung, besingt der gefühlvolle Poet Giovanni Pascoli wider alle Schwermut, mit der seine Gedichte bezeichnet sind.
NesterÜber die Zeit
Lars Gustafsson reist mit lyrischer Musikalität auf den Spuren von Johann Sebastian Bach, nur sehr viel sanfter als der Leipziger Thomaskantor, nicht mit revolutionärer Kraft, aber mit einer vergleichbaren Sensibilität.
Variationen über ein Thema von SilfverstolpePlay very Loud
The Cure schließen mit ihrem neuen Album "Songs of a Lost World" nahtlos an ihre grandiosen, melancholischen 80er-Frühwerke an. Ein Werk, relevanter denn je ...
The CureDie Schönheit der Dichtung
Eine Sammlung von Gedichten, die philosophische Impressionen ebenso enthält wie zarte Betrachtungen über Mensch, Natur und Zeit.
zeitflechtenMelodien des Lebens
Ilse van Staden schreibt nicht leichtgewichtig, nicht schwerelos, nicht schwebend, dazu sind ihre Gedichte viel zu ernst – aber hoffnungslos sind sie nicht.
quastenflosser