Reale Fiktion eines Jahrhundertlebens
"Die Fotografin" ist nicht mein erstes Boyd-Buch, doch keines der vorherigen (Unser Mann in Afrika, Brazzaville Beach, Solo) hat mich dermassen berührt. Das kann natürlich Ursachen haben, die alleine bei mir liegen. So kann es natürlich sein, dass mich das Thema Fotografie heutzutage mehr anspricht, als die afrikanischen Themen von damals. Vielleicht ist es aber eben auch so, dass William Boyd niemals besser geschrieben hat als in "Die Fotografin."
Die Fotografin Amory Clay, deren Schicksal in diesem Buch erzählt wird, hat es nie gegeben, sie ist erfunden und zwar so gut, dass ich sie für real gehalten habe. Und da der Autor so ziemlich alles tut, damit man seine Heldin für real hält - dem Buch sind auch Fotos beigegeben, sein Dank geht ausschliesslich an Fotografinnen und Autorinnen, die wirklich existiert haben - , ist das auch nicht wirklich verwunderlich.
Vorangestellt ist diesem Roman ein Ausschnitt aus Jean-Baptiste Charbonneaus "Avis de Passage" aus dem Jahre 1957, der mich sofort berührte, obwohl der Mann und das Werk fiktiv (das schliesst das fehlerhafte Zitat im französischen "Original" mit ein) sind: "Wie lange man auch auf diesem kleinen Planeten verweilen mag, was immer einem dabei widerfahren mag, das Wichtigste ist, dass man dann und wann empfänglich ist für die sanfte Liebkosung des Lebens."
Amory weiss schon früh, dass sie nicht studieren, sondern Fotografin lernen will. In Berlin gelingen ihr Fotos, die in London einen Skandal auslösen. Ein Angebot aus New York ermöglicht ihr einen ersten Neuanfang, weitere werden folgen. Im Frankreich des Zweiten Weltkrieges und später in Vietnam ist sie als Kriegsfotografin unterwegs, was Boyd dazu inspiriert, sie diese cleveren Gedanken zu Robert Capas "Fallendem Soldaten", der wohl berühmtesten Kriegsfotografie aller Zeiten, denken zu lassen: "Wird man von einer Gewehr- oder MG-Kugel tatsächlich mit solcher Wucht nach hinten geschleudert? Gernau hier liegt meiner Ansicht nach das Problem. Capas zurückstürzender Soldat mit den ausgebreiteten Armen hätte auch problemlos in einen zweitklassigen Hollywood-Western gepasst. Es ist ein gewissermassen 'bühnenreifer' Tod, den dieser Soldat zu sterben scheint."
"Die Fotografin" ist ein ungemein atmosphärischer Roman, reich an Szenen, die einem noch lange nachhängen. Etwa die, als der seelisch und geistig verwirrte Vater sich umbringen will und mit der kleinen Amory in einen See rast. Oder die, als die nach New York übersiedelte Amory der Ehefrau ihres Liebhabers vorgestellt wird. Oder die, als sie während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich auf das Flugzeugwrack ihres verunglückten Bruders trifft, der den Absturz überlebt hatte, doch dann von deutschen Soldaten erschossen wurde.
Es sind ungemein starke Bilder, die dieses Buch hinterlässt. Das liegt einerseits daran, dass William Boyd ein begabter Geschichtenerzähler ist und hat andererseits damit zu tun, dass es einem (mir jedenfalls) immer mal wieder verblüffende Einsichten vermittelt. "Ich stellte fest, dass das Leben durch einen langwierigen Genesungsprozess ungeheuer vereinfacht wurde. Als Patient musste man lediglich die Krankheit erdulden und sich bemühen, gesund zu werden. Für alle übrigen Belange - Körperhygiene, Essen, die Kommunikation mit der Aussenwelt - waren andere zuständig."
Anhand seiner fiktiven Heldin schildert Boyd spannend und überzeugend ein ganzes Jahrhundert. Dass er die Figuren, die seine Geschichte bevölkern, erfunden hat, tut dem keinen Abbruch. "Si non è vero, è ben trovato" heisst es im Italienischen. "Wenn es nicht wahr ist, so ist es doch gut erfunden", dieser Giordano Bruno zugeschriebene Satz bringt nicht nur die gängige Geschichtsschreibung, sondern auch Boyds Buch auf den Punkt
"Die Fotografin" ist sowohl ein höchst lehrreiches Werk und als auch eine raffinierte Fälschung. Und es ist ein wunderbar gelungener Roman, durchsetzt mit weisen Sätzen wie etwa diesem: "Ja, mein Leben war sehr kompliziert, doch nun wird mir klar, dass gerade diese Komplikationen mich gefordert und am Ende beglückt haben."

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