Alchemie der Melancholie
"Ubi peccatum, ibi procella" (Wer sündigt, entfesselt einen Sturm), sagte einst Chrysostomus, aber was, wenn sich plötzlich jemand die Aufgabe stellt, der eigenen Melancholie auf den Grund zu gehen und sie zu sezieren? "Burtons Anatomie einer kranken Welt, die den Melancholie-Begriff zur Universalmetapher ausweitet, ist ein Buch der Bücher, ein bibliothekarisches Spiegelkabinett und Labyrinth, in dem jeder Text von anderen die Gestalt borgt und sich wieder in andere verwandelt.", so Werner von Koppenfels im Nachwort zur vorliegenden bibliophilen Ausgabe, einer Auswahl in Neuübersetzung. Darüber hinaus ist der vorliegende Text eine unerschöpfliche Quelle alter Weisheiten, die oft aus dem Lateinischen übersetzt werden und Burtons Alchemie erst ermöglichen. Denn auch die Melancholie kann zu Gold werden.
Alchemie der Melancholie
"umherzustreifen, centum puer artium (...) Hansdampf in allen Gassen zu sein, von jedem Gericht zu kosten und an jedem Becher zu nippen", so hatte er sich sein Leben vorgestellt, dieser Democritus Junior (alter ego von Burton), der seine Vorrede an den Leser richtet, um "aliquis in omnibus, nullus in singulis" (in allen Dingen Dilletant, in keinem Fachmann) zu sein, wie es einst schon Plato empfohlen habe. Als Reisender entbehrte er nichts - nihil est, nihil deest (ich habe wenig und entbehre nichts) - weder Weib noch Kinder, nur "Beobachter fremder Geschicke und Abenteuer", aber dennoch wollte er wie Demokrit die Welt verstehen und den Sitz seiner Melancholie, die ihn quälte, sezieren. Dieser habe ihn in der Schwarzgalle verortet - daher auch der Name - um durch müßigen Eifer der tatenlosen Lethargie zu entkommen: ubi dolor, ibi digitus (wo es juckt, dort muss man sich kratzen).
Hanswurst der Welt
Aber auch darüber brauche man sich keine Illusionen zu machen, denn es läßt sich ohnehin nichts sagen, was nicht schon gesagt wäre, allein Komposition und Methode sind unser und zeigen den Gelehrten. "Totus mundus agit histrionem: Die ganze Welt spielt den Hanswurst, wir haben immerzu ein neues Schauspiel vor uns, eine neue Szene, eine neue Komödie der Irrungen, eine neue Komödiantentruppe", so Democritus Junior. Robert Burton lässt verschollene Texte wieder auferstehen und zeigt, wieviel Weisheit in alten Büchern liegen kann. So erzählt er etwa von einem gewissen Hercules des Saxonia, einem Professor in Venedig, der glaubte, dass speziell die Venezianerinnen deswegen schwermütig seien, quod diu sub sole degant: weil sie sich zu viel in der Sonne aufhielten. Auch über den Müßigang des Adels klagt er, der sogar zu Trägheit führe, die wiederum dickflüssigen humores verursache: mit Winden und Unverdautem, und ihr Geist werde unruhig, öde, niedergeschlagen. "Bei all den vielen Unzufriedenen, die Ihr überall hört und seht, all den vielen Klagen, unnötigen Beschwerden, Befürchtungen und Verdächtigungen, besteht die beste Heilmethode darin, ihnen Arbeit zu schaffen oder ihren Geist zu beschäftigen; denn alles läuft doch nur auf eines hinaus: sie sind zu müßig." Aber wie rief einst schon Medea: "Und dies erbitt ich mit den letzten Worten:/Was ich in Zorn und Leidenschaft gesprochen,/Vergebt, vergesst es - besseres Angedenken/Mögt ihr dem Schreiber dieser Zeilen schenken."
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