Petra Morsbach: Dichterliebe

Schwierige Wende

Henry Steiger ist Lyriker und war in der DDR ein Star. Dann kam die Wende und für Henry eine Lebenskrise. Im Westen findet er Zuflucht in einer Stipendienstätte.

In Petra Morsbachs "Dichterliebe" geht es um Steigers altes Leben in der DDR und um sein neues im Westen ("Wie schreibt man in einem Land, in dem es um nichts geht?") und um Sidonie, die ehemalige schwäbische Zahnarztgattin, die sich als Autorin versucht, eine, im Gegensatz zum griesgrämigen Henry, herrlich pragmatisch lebenslustige Figur.

Steiger, ein gescheiterter Oberschüler, machte eine Lehre als Schriftsetzer, und stiess dabei auf die Lyrik von Franz Zisler, zu dessen Schüler er in der Folge wird. "Zisler war als Jugendlicher Nazi gewesen, und zwar nicht irgendeiner, sondern besonders schneidig, ein Reiter-Nazi mit Tätowierung und Lederstiefeln. Im russischen Antifa-Lager aufgeklärt, schämte er sich und wurde Kommunist. Nach der Heimkehr war er zunächst staatsfroher Dichter, dann DDR-Kritiker, Unterzeichner der Biermann-Petition, Buddhist, katholisch, zwischendurch jeweils Alkoholiker. Danach ein fanatischer Vegetarier, der nur Äpfel ass. 'Wissen Sie, was Hunger ist?' Plötzlich wurde er fett wie ein Delphin und fragte die Dichterin Broda, eine Blutwurststulle im Mund: 'Was halten Sie von der Gnade?'"
Besser kann man Sucht beziehungsweise Suchtverlagerung kaum schildern. Und witziger schon gar nicht. Dass man dabei auch noch vorgeführt bekommt, was ein klassischer Wendehals (oder etwa ein Suchender?) ist ... mehr kann man von einem Text eigentlich gar nicht wollen.

Lyrik hatte in der DDR offenbar einen ganz andern Stellenwert als im Westen, wo es mehr Lyrikschreiber als -leser gebe. Henry Steigers monumentalem Ego tut das nicht gut. Petra Morsbachs Meisterschaft zeigt sich unter anderem darin, dass sie es schafft, diesen fast unerträglich selbstbezogenen Heini ganz sympathisch wirken zu lassen. Doch sie schreibt nicht nur gut und gekonnt, sie hat dazu noch ganz wunderbare Einfälle, die mich immer wieder zum Staunen bringen. Als Steiger zu DDR-Zeiten von seinem älteren Lyrik-Kollegen Struck zu einer Rom-Reise eingeladen wird, bemerkt er unter anderem, "dass es in Rom weitaus ärmere Leute gab als uns. Einmal assen wir in einem Gartenlokal pappige Toasts, da glitt ein schlanker Arm durch die Hecke, und mein Teller war leer. Struck, der gerade sächselnd Verse von Shelley vorlas, hatte es nicht mal bemerkt."

"Dichterliebe" zu lesen ist auch höchst lehrreich:
"Wieviel von dem, was sich als Liebe ausgibt, verdient den Namen? Ist Eifersucht nicht einfach Besitzgier? Robert zitierte sinngemäss Kurt Vonnegut: Wenn man bedenkt, was Leute einander aus Liebe antun möchte man ihnen empfehlen, es doch mal mit Höflichkeit zu versuchen."

"Meine Frau ... Ein Westonkel hat ihr etwas vererbt. Da wollte sie plötzlich ein neues Leben anfangen - als ob es das gäbe. Das Leben ist niemals neu ...".

"Nach Wochen unersättlichen Lesens begann ich selber zu dichten, buchstäblich mit zitternder Hand. Eine gelähmte Sprache springt nicht auf und bricht Rekorde, sie wächst langsam, wie Muskulatur, durch Übung und Stimulation."

Die Geschichte, die Petra Morsbach in 'Dichterliebe' erzählt, ist das Eine, wie sie diese Geschichte erzählt, das Andere. Es ist ihre Sprache, ihr Stil, ihr Humor, der mich ganz unbedingt für diese Autorin (und auch dieses Buch) einnimmt. Selten, dass ich mich so gut und intelligent unterhalten fühle; selten, dass ich bei der Lektüre so oft lachen muss/darf.

So erfahre ich etwa, dass mit bildenden Künstlern viel einfacher umzugehen sei, als mit Schriftstellern: "Denen muss man nur ein Stück Holz hinwerfen, dann sind sie beschäftigt." Und lese von Jakob Jehlitschka, dessen autobiografisches Büchlein über seine Grossmutter zur Schullektüre wird. "Er hatte hervortretende braune Augen, die wie tastend ständig in Bewegung waren, und lächelte ständig mit seinen grossen, nach innen stehenden Schneidezähnen, was seinem Ausdruck etwas Verschrecktes gab. Er war gross und dünn, ohne Hintern, ohne Hinterkopf. Er selbst leitete seine Schüchternheit nicht von der kläglichen Physis ab, sondern von einer dramatischen Kindheit."

"Dichterliebe", mit einem mich ansprechenden Schutzumschlag präsentiert, sei wärmsten empfohlen.

Dichterliebe
Dichterliebe
288 Seiten, gebunden
Knaus 2013

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