Die Unberechenbarkeit des Menschen in der Ökonomie
Im Kontext mit der Finanzkrise stellte der renommierte Ökonom Friedrich Schneider (Uni Linz) im Interview mit der "Financial Times Deutschland" fest: "Die Krise der Ökonomie ist entstanden, weil wir viele Verhaltensweisen der Menschen nicht in unsere Modellwelten integriert haben …". Offensichtlich gilt, dass die Unfähigkeit, die zunehmend komplexen Systeme der Gesellschaft, Wirtschaft und Technik zu begreifen und zu steuern, die Hauptursache der meisten Menschheitsprobleme darstellt. Die in der Ökonomie noch weitgehend verwendeten Modelle gehen hingegen vom Menschenbild des homo oeconomicus mit seinen rationalen Akteuren aus und sind reduktionistisch, d. h. nur wenige, stark aggregierte Einflussgrößen werden in ihrem Zusammenwirken, meist monokausal, analysiert. Mit dem sich in jüngerer Zeit anbahnendem Paradigma-Wechsel in Richtung einer Öffnung gegenüber verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen und der Abbildung systemischer Interdependenzen setzen sich die Autoren, zumeist Professoren der AKAD University, in dem vorliegenden Band auseinander.
In seinem Beitrag Der homo oeconomicus ist krank macht Rainer Berkemer anhand von Erkenntnissen der experimentellen Wirtschaftsforschung, insbesondere der Spieltheorie, deutlich, dass das Bild eines vollständig rational handelnden Individuums seine Überzeugungskraft verloren hat und nicht mehr haltbar ist. Das Autorenteam um Stephan Schöning postuliert in der Studie Warum machen Menschen Fehler?, dass Fehler zwar häufig auf das Versagen eines einzelnen Individuums zurückgeführt werden, jedoch in Wirklichkeit meist mehrere Fehlerquellen ursächlich sind. Zunächst wird erörtert, wann aus latent vorhandenen Fehlerquellen Schäden werden. Dies wird durch eine detaillierte Analyse für das Beispiel des Flugzeugunglücks von Überlingen (im Juli 2002) illustriert. Danach werden anhand des Konzepts der "Dirty Dozen" die Erklärungsansätze für das Auftreten von Fehlern systematisch referiert. Im Beitrag Wir sind netter als wir denken untersucht Bernd Remmele mit Erkenntnissen aus der evolutionären Anthropologie, wie es um die Moral des ökonomisch-rational handelnden Menschen steht und geht der Frage nach, ob der Markt möglicherweise nur deshalb funktioniert, weil er auf einem moralischen Grundstock aufsetzt.
Vor dem Hintergrund der verhaltenswissenschaftlichen Diskussionen in der Ökonomie widmet sich Daniel Markgraf in seiner Studie Entrepreneurial Spirit - Was macht einen Unternehmer aus? dem psychologischen Modell der "Big Five der Persönlichkeit", mit dem Gründungswillige ihr unternehmerisches Profil überprüfen können. In seinem Beitrag Das Phänomen Panik - Die Dynamik von Menschenmassen leitet der Physiker Michael Schreckenberg (Uni Duisburg-Essen) am Beispiel bekannter Katastrophenfälle gewisse Gesetzmäßigkeiten ab, die auf mögliche Gefahrenmomente bei zukünftigen Ereignissen hindeuten können. So z. B. werden die Rolle der Kommunikation und die Geschwindigkeit von Vorkommnissen häufig unterschätzt. In der Prävention muss deshalb sehr viel mehr auf mögliche Begehrlichkeiten der Menschen geachtet werden, die unvermittelt zu Druck und hohen Dichten führen, ohne dass ein echter Anlass hierfür besteht. Der abschließende Beitrag von Michael Klebl über Strategien für Bildungsanbieter in Zeiten von Social Media macht deutlich, dass das ökonomische Menschenbild auch durch die Erkenntnisse aus den Social Media eine Modifikation erfährt. So verändert sich etwa das Lernen, wenn es sich zunehmend in diese Medien verlagert. In diesem Kontext diskutiert der Verfasser didaktische Einsatzmöglichkeiten, welche uns die Social-Media-Lernwelten bieten und leitet entsprechende Strategien für Bildungseinrichtungen ab.
Es ist dem Herausgeber dieser Publikation Jörg Schweigard, Leiter der Unternehmenskommunikation der AKAD, gelungen, anspruchsvolle und interessante Beiträge über die Unberechenbarkeit des Menschen in der Ökonomie, die dem tradierten Bild des rein nutzenorientierten und rationalen "homo oeconomicus" zuwiderläuft, zusammenzustellen. Der vorliegende Band kann allen, welche sich für diese interdisziplinäre Themenstellung interessieren, etwa Lehrende und Studierende der Wirtschaftswissenschaften, Manager in Wirtschaft und Verwaltung sowie allgemein gesellschaftlich und ökonomisch Interessierte, bestens empfohlen werden.
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