Tunnel ins Ego
"Früher war alles besser" weise eigentlich mehr daraufhin, dass die Leute das Schlechte vergessen, meint der Maler Juan Pablo Castel und er weiß wirklich, wovon er spricht: er hat seine große Liebe, Maria, umgebracht. In einer Art Geständnisbericht schreibt er alles nieder, was ihn zu der unglaublichen Tat gebracht hat, den einzigen Menschen, der ihn verstand, Maria, zu töten. Sabato schildert mit feiner Ironie und einer scharf gespitzten Feder den Künstler Castel, der sich über alle erhaben fühlt und dennoch ein kleines, verunsichertes Nichts ist, der sich seine eigene Existenzberechtigung allein aus der Liebe zu einer Frau suchen möchte. Spitz formuliert sind seine kleinlichen Eifersüchteleien und Minderwertigkeitskomplexe, die ihn zu seiner Mordtat führen, aber dennoch fühlt man mit dem Protagonisten mit, da sein Hass auf die Welt nur allzu verständlich und nachvollziehbar ist.
Göttliche Einsamkeit
Süffisant erzählt Sabato von der ersten Begegnung der beiden unter dem Schild COMPANIA T. und dem "schwindelerregenden Ballett seiner Gedanken" in seinem "wimmelnden" Kopf, der einem "dunklen Labyrinth" gleicht: "Manchmal werden ein paar Gänge von einem Blitz erhellt". Juan Pablo Castels existentialistischer Ekel vor den Menschen wird durch die Liebe zu Maria erschüttert, denn plötzlich betrachtet er die Welt voller Sympathie, bis sein Kopf schließlich zu einem "Pandämonium" wird: "Eine Menge Gedanken, Gefühle, Liebe und Hass, Fragen, Kränkungen und Erinnerungen vermischten sich und tauchten nach und nach auf." Juan Pablo Castels Welt gerät aus den Fugen und er will den abnormalen Normalzustand so schnell wie möglich wieder herstellen, denn was nicht sein darf, kann nicht sein. "Im Allgemeinen ist dieser Empfindung, alleine in der Welt zu sein, ein stolzes Gefühl von Überlegenheit beigemischt. (...) Meine Einsamkeit macht mir keine Angst, sie ist fast schon göttlich." Ob er Maria deswegen beseitigen muss? Bis zuletzt weiß man nicht, ob sie ihn wirklich betrügt oder er nur paranoid ist: Sabato trifft mit seiner spitzen Feder voll ins Schwarze: Ein literarischer und existentialistischer Genuss.
Tunnel des Herzens
Juan Pablo Castel, der Protagonist des vorliegenden Romans, ist eine literarische Figur, die 1948 von dem argentinischen Nobelpreisanwärter Ernesto Sabato mit so feiner Feder gezeichnet wurde, dass er heute noch als literarische Vorlage für so manchen existentialistischen Roman dient und die südamerikanische Literatur insgesamt so geprägt hat, dass er gleichsam als Blaupause gelesen werden kann. Erstmals auf Deutsch erschien der Roman erst zehn Jahre nach der Erstveröffentlichung, 1958, und trug damals den Titel "Der Maler und das Fenster". Eine Neuübersetzung aus dem Jahre 1978, dem auch die vorliegende Ausgabe zugrundeliegt, trug wiederum den Titel "Maria oder die Geschichte eines Verbrechens". Jetzt endlich erscheint der Roman unter seinem Originaltitel "El túnel" auf Deutsch.
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