Pasolini und der Fußball
Dichter der Peripherie: So wurde Pier Paolo Pasolini häufig charakterisiert, und so ließ er sich auch gerne bezeichnen. Am Rand der Städte, in den borgate, den Vororten, lebten und hausen, gleichzeitig am Rand der Gesellschaft, die weniger Privilegierten. Eher mit einem Plastik- als mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, wird über sie hinweggeschaut; und wenn doch mal über sie berichtet wird, dann meist auf den Boulevardseiten, unter Rubriken wie ‚Blaulicht‘ oder im Rahmen von Gerichtsreportagen.
Pasolini wuchs selber in prekären Verhältnissen auf. Doch kehrte er der Vorstadt nie den Rücken, auch dann nicht, als er in der besseren Gesellschaft und damit in besseren Wohnverhältnissen angekommen war. Des Autors Perspektive war nie diejenige dessen, der „es geschafft“ hatte: ein Blick zurück von oben herab und mit reichlich Betonung der eigenen Meriten. Pasolinis Ebene war die Augenhöhe, seine Zeit die Gegenwart, von gleich zu gleich, mit dem gebotenen journalistischen Abstand, ohne Verklärung oder gar Ressentiments, aber auch mit Empathie.
Für eine solche teilnehmende Beobachtung eignet sich ein ganz besonderer Ort, kein neutraler, sondern einer mit Heimvorteil: der Fußballplatz. Pasolini hat ihn immer wieder beschrieben – und betreten. Längst ein arrivierter Regisseur war, verging bei seinen Drehs kaum eine Pause, in der nicht ein Kick ausgetragen wurde.
Von Pasolinis lebenslanger Leidenschaft handelt das Buch – sein erstes – des Literaturwissenschaftlers und Fußballexperten Valerio Curcio. Die Auseinandersetzung erfolgt in fünf Schritten: „Da ist die nie erkaltete Leidenschaft für den FC Bologna, schon in Jugendtagen Verein seines Herzens; da sind seine eigenen Erfahrungen als Spieler, ob auf kleinen Plätzen der römischen Peripherie oder in großen Stadien in ganz Italien; die Spuren, die der Fußball in vielen seiner Werke hinterlassen hat, in den Erzählungen wie in den Romanen; seine zwar sporadische, aber intensive Arbeit als Sportjournalist , etwa anlässlich eines römischen Derbys oder bei der Olympiade im Jahr 1960; und zu guter Letzt seine so gewichtigen wie originellen Beiträge zur Rolle des Fußballs in der zeitgenössischen Gesellschaft.“
Das deutsche Vorwort hat Moritz Rinke geschrieben. Der Dramatiker und Romancier weist durchaus Parallelen zu Pasolini auf: So waren beide Kapitäne ihrer jeweiligen Autorennationalmannschaften, der deutschen und der italienischen. Beide gingen auf dem Platz mit dem notwendigen Ernst und Engagement zur Sache. Und beide wiesen in ihren journalistischen Beiträgen – warum auch nicht – gerne mal auf die eigene Beteiligung hin: Rinke beschreibt ein per Fallrückzieher spektakulär von ihm erzieltes Tor, Pasolini macht im Nachgang darauf aufmerksam, dass er es war, der den entscheidenden Spielzug im Freundschaftsspiel einleitete.
Obwohl laut Pasolini alles im Leben politisch ist, weigerte sich der Autor, den Fußball diesen Maßstäben unterzuordnen. Für ihn war Fußball etwas Höheres, beinahe Heiliges.
Noch größer als Pasolinis selbstwahrgenommene Fußballkunst war seine Leidenschaft für den FC Bologna. Das ist auch für die deutsche Leserschaft interessant. Der Augsburger Helmut Haller, erster Torschütze im WM-Final 1966, stürmte im Profialltag für den Verein aus der Emilia Romagna. Wie Schalke 04 wurde Bologna sieben Mal Meister, beide Klubs feierten jeweils sechs Titel während der Ära des Faschismus, bei beiden kam ein siebter in der Nachkriegzeit (Bologna 1964, Schalke 1958) hinzu – und danach kein weiterer.Obwohl laut Pasolini alles im Leben politisch ist, weigerte sich der Autor, den Fußball diesen Maßstäben unterzuordnen. Für ihn war Fußball etwas Höheres, beinahe Heiliges. Was freilich nicht bedeutete, keine Kritik walten zu lassen. Sie liest sich wie eine Vorwegnahme der aktuellen Entwicklung: Fußball als Möglichkeit zum Geldscheffeln für Milliardäre, die selber keine Ahnung vom Spiel und vermutlich noch nie gegen einen Ball getreten haben, jedoch imstande sind, jeden Verein der Welt zukaufen. Auch der FC Bologna gehört einem italokanadischen Geschäftsmann, Joey Saputo.
Fußball als Auswuchs des Kapitalismus war Pasolini ein Greuel. Nicht weniger verabscheute er den Nationalismus, der sich vor allem in der Sportberichterstattung zunehmend breitgemacht hat. „Wäre es nicht an der Zeit“, fragt Pasolini sich und die Journalistenzunft, „dass wir uns auch im Sport als Weltbürger begriffen?“ Damit redet Pasolini sicher nicht den multinationalen Konzernen das Wort, die sich den Fußball als Steckenpferd halten, sondern einer internationalistischen Einstellung, die dem Gegner Objektivität schenkt und dessen Leistung Respekt zollt.
Curcio ist die Annäherung an Pasolini sehr gut gelungen: ein kurzweiliges Lesevergnügen, das auch mal in die Tiefe geht, dabei Pasolinis gleichermaßen physische wie intellektuelle Herangehensweise an den Fußball authentisch wiedergibt.
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