Rolf Krake - Theodor Fontanes Stechlin revisited
"Mitunter erscheint mir der Rolf Krake noch im Traum." Als Gräfin Melusine ihm das Geständnis entlockt, muss Bürgermeister Kluckhuhn nicht allzu viel von seinem Innersten preisgeben. Längst hat er seinen Frieden mit dem Spuk und Rolf Krake sogar zu seinem Spitznamen gemacht. "Rolf Krake war wie ein richtiges Gespenst", räumt der Dorfschulze ein, aber es hat ihm nur einen ordentlichen Schrecken eingejagt, damals im Krieg anno 1864, von Schaden dürfe er "eigentlich nicht reden, den hab' ich nicht so recht davon gehabt; ich bin nicht mal angeschossen worden."
Gräfin und Bürgermeister sind eine Erfindung Theodor Fontanes. Der große Romancier – sein Geburtstag jährte sich am 30. Dezember 2019 zum zweihundertsten Mal – hat sie in seinem recht wenig ereignisreichen Roman Der Stechlin unsterblich gemacht. Rolf Krake war dagegen durchaus real, auch wenn er sich nicht gerade durch Handlungskraft und Effektivität auszeichnete. Mitten in der Auseinandersetzung der Dänen mit den vereinigten Österreichern und Preußen tauchte "das unheimliche Schiff", so Melusines Wahrnehmung, an den Düppeler Schanzen auf. Schleswig-Holstein ist, wie schon seine Hymne verrät, meerumschlungen und die Küste nirgends richtig fern. Daher war die Idee des dänischen Generalstabs, den Verteidigern ein wenig Hilfe von See zukommen zu lassen, so abwegig nicht. Sie verfielen auf einen dampfgetriebenen Schoner mit zwei beweglichen Geschütztürmen. Namensgeber des Rolf Krake war ein historisch nicht belegter König aus der nordischen Mythologie.
Leider blieb es aus dänischer Sicht beim Überraschungseffekt, da er sich nicht in militärische Wirkung umsetzen ließ. Insgesamt 95 Schüsse gaben die beiden Doppelkanonen an jenem 18. April ab, um den Sturm auf ihre Schanzen zu verhindern. Bei einem starren, selbst gepanzerten Ziel hätten sie ihre Wirkung getan. Doch waren die Vorzeichen bei diesem Gefecht andere. Die verteidigenden Dänen saßen in einer Festung, nicht die anstürmenden Preußen. Um ihre Reihen empfindlich zu dezimieren, hätte es Granaten mit Spreng- und Streuwirkung bedurft. Die Bewaffnung des Rolf Krake war auf maritime Kriegführung ausgerichtet. Einem feindlichen Schiff hätte man erfolgreich zu Leibe rücken können, das Zielen auf beweglich operierende Truppen zu Lande glich dann doch eher dem Kanonenbeschuss von Spatzen.
"Im Winter habe ich einen politischen Roman geschrieben", resümierte der Autor mehr als drei Jahrzehnte nach dem Ereignis, über den "Adel, wie er bei uns sein sollte, und wie er ist. Und Rolf Krake? Den König hatte es ja nie gegeben, das Schiff schon. Immerhin blieb dem tragischen Gefährt ein Eintrag in die Weltliteratur. 1907 wurde der waffenstarrende Dampfer, der im deutsch/österreichisch-dänischen Krieg (die militärischen Auseinandersetzungen zogen sich fast über das komplette Jahr 1864 hin) Schrecken verbreitete, aber keinen Schaden anrichtete, im südholländischen Dordrecht abgewrackt.
Der Stechlin war Fontanes letzter Roman und erschien Ende 1998 in Berlin. Wegen der fehlenden Action war das Werk lange umstritten. Erst der Schweizer Kritiker Max Rychner bezeichnete es "als eines der weisesten Spiele, die mit der deutschen Sprache gespielt wurden." Diesen Sommer hat der auf Klassiker spezialisierte Kölner Anaconda-Verlag den Roman wieder herausgebracht, in einer mit 6 Euro 95 recht preiswerten gebundenen Ausgabe.
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