Papst Franziskus in der Diskussion
Wiederholt sich die Kirchengeschichte? Oder erleben wir nur die Rückkehr bekannter Muster medialer Berichterstattung? Am Tag, nachdem die Kardinäle im Konklave Joseph Ratzinger zum Papst gewählt hatten, jubelte Deutschlands größte Boulevardzeitung: "Wir sind Papst!" In vielen renommierten Zeitungen und Medien wurde Benedikt XVI. respektvoll gewürdigt und anfangs mit großer Zustimmung begleitet. Das änderte sich mit der Zeit deutlich. Auch Papst Franziskus wurde am Anfang des Pontifikates begeistert aufgenommen. Mehr als 11 Jahre später wird das Kirchenoberhaupt zunehmend kritisch gesehen. Aus gutem Grund? Der Schweizer Publizist Michael Meier analysiert Franziskus' Amtsjahre schneidig und eloquent.
Der "gute Seelsorger" trete als "barmherziger Hirte" auf. Für Meier ist das nicht mehr als eine "Image". Er würde zwar in Interviews nicht die "ewigen Moralgebote der Kirche herunterbeten", aber die Lehre der Kirche nicht verändern – so sieht er etwa weder Spielräume für Abtreibung, die Gendertheorie noch für die Ehe für alle. Der Publizist erkennt Enttäuschungen, etwa bei der öffentlichkeitswirksam sich positionierenden und von vielen Medien hofierten Gruppe "Wir sind Kirche". Reformfreudige Gruppen hätten sich von Franziskus so viel versprochen. Dass der Verband kritischer Katholiken, eine Organisation im deutschsprachigen Raum, ebenso wie das prominent besetzte Zentralkomitee der deutschen Katholiken mitnichten die Stimme der Katholiken repräsentieren, sondern eher nur sich selbst, davon erfährt der Leser nichts.
Meier denkt politisch, somit auch kirchenpolitisch. Ungeniert spricht er vom "rechten Lager" wie von fortschrittlichen, also linken Katholiken. Franziskus fordert, wie der Katechismus, einen "diskriminierungsfreien Umgang und Mitleid mit Homosexuellen". Doch gleichgeschlechtliche Partnerschaften beurteilt er als "Verstoß gegen die Naturordnung". Meier formuliert: "Die Homoehe hat für Franziskus keinerlei Analogie zur Heteroehe, eröffnet vielmehr den ideologischen Krieg gegen die Ehe als solche." Liberale Zeitgenossen sind darüber wahrscheinlich enttäuscht oder verbittert. Wie aber erklären sich Erwartungen, dass Papst Franziskus nicht – gewissermaßen als gute lateinamerikanische Fee der Kirche – die Wünsche von etablierten Kirchenkritikern oder Traditionalisten erfüllt? Ja, der Argentinier auf dem Stuhl Petri konnte diese Hoffnungen nur enttäuschen, weil er sich dem Auftrag Christi verpflichtet weiß, das Evangelium zu verkünden, ob gelegen oder ungelegen. Die Schlagzeilen dieser Welt zählen für den kantigen, ungeschmeidigen und humorvollen Pontifex überhaupt nicht.
Von der Enttäuschung bekannter deutscher Theologen berichtet Michael Meier ebenso. Als Franziskus beim sexuellen Missbrauchsskandal das Böse am Werk sieht und vom Teufel spricht, löst er Unverständnis und Empörung aus: "Ist der Teufel schuld an der Malaise des klerikalen Missbrauchs, nicht die Priester und die Bischöfe?" Franziskus hatte von den "Werkzeugen Satans" gesprochen, damit aber die Täter mitnichten exkulpiert. Noch niemand aus dem Raum der Kirche in Deutschland etwa hat die Aufhebung der Verjährungsfrist für Missbrauchsverbrechen gefordert. Gesprochen wurde und wird immer wieder nur von strukturellen Reformanstrengungen, so als ob der priesterliche Zölibat ursächlich für den Missbrauch wäre. Die Aufgabe des Papstes ist die Rede von Gott. Dass er von der Realität des Bösen – an die freilich niemand glauben muss, der ihn beurteilt – spricht, wird kaum jemand einem Gottesmann, der sich selbst als "treuen Sohn der Kirche" bezeichnet, wirklich verdenken.
Papst Franziskus beruft Bischöfe aus aller Welt zu Kardinälen, darunter scheinbar liberale, "offene und kommunikative Kirchenmänner". Viele "Reformkatholiken" erkennen in der "Personalpolitik" den "großen Reformer". Meier stellt andere Überlegungen über die "Exoten-Kardinäle" in den Vordergrund. Das "sozialpolitische Engagement" sei zwar sichtbar: "Erstaunlich immer wieder, dass reformorientierte Katholiken in solchen Kardinälen der Peripherie und der Diaspora die Galionsfiguren einer Kirche der Zukunft sehen, die für frischen Wind sorgen würden. Dabei entsprechen die wenigsten von diesen den eigenen Reformforderungen. Für viele Kardinäle des Südens sind diese zweitrangig und treten hinter sozialpolitischen und karitativen Zielen zurück." Leser, ob gläubig oder nicht, könnten die nicht unberechtigte Frage stellen, warum die hier summarisch genannten Bischöfe aus fernen Ländern den Reformwünschen deutscher Bischöfe, Theologen, Journalisten oder Christen auch entsprechen sollten. Schon die Vorstellung, dass es so sein sollte, erweist sich als eine Anmaßung. Dürfen die Kardinäle aus fernen Ländern nicht einfach sein, wie sie sind?
Michael Meier vergleicht Franziskus mit der 2022 verstorbenen englischen Königin Elisabeth II. und behauptet: "Beide monarchischen Figuren haben es wunderbar verstanden, unsere Bildergesellschaft zu bedienen und sich ihrer zu bedienen. Wenn man sich aber allein aufgrund des Bildes ein Bild macht von jemandem und dieses nicht kritisch reflektierend hinterfragt, entstehen falsche Interpretationen." Für den Publizisten Meier ist Franziskus einfach konservativ, eine "Projektionsfläche ihrer Reformpostulate". Diese Meinung kann man vertreten, man könnte aber auch die eigene Meinung kritisch reflektieren. Somit ist Michael Meiers Buch über Franziskus ein überraschungsfreier kirchenpolitischer Beitrag zur zeitgenössischen Diskursgeschichte. Weltlich gesinnte Beobachter kann ein Papst wie Franziskus anscheinend nur enttäuschen. Er erfüllt weder irgendwelche Wünsche noch orientiert er sich – wie seine Amtsvorgänger – an den Erwartungen seiner Zeitgenossen. Das spricht für Franziskus, der sich von Gott zum Hirten der Weltkirche berufen weiß.
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