Leben wir in einer woken Gesellschaft?
Meinungsvielfalt, Meinungsführerschaft und Meinungsstärke verfügen über eine lange und schwierige Geschichte. Political Correctness etwa bezeichnete einen bewussten Sprachgebrauch zur Vermeidung von diskriminierenden Begriffen. In den 1990er-Jahren wurde von konservativen Politikern zunächst in den USA und später auch in Europa kritisiert, dass dies eine Art Sprachzensur darstelle. Besonders Äußerungen über die Migrationspolitik etwa wurden schon damals aufmerksam analysiert und aufgegriffen. Dürfen wir heute sagen, was wir denken? Wird kritisch diskutiert? Oder herrscht eine umfassende "Cancel Culture"? Ist heute die Forschungsfreiheit an den Universitäten von einer – wie Susanne Schröter dies zugespitzt formuliert – "woken Linken" bedroht?
Schröter schreibt über Wissenschaft, Politik und Gesellschaft. Sie stellt fest, dass heute Hunderttausende Menschen zwar ausreisepflichtig seien, aber nicht in ihre Heimatländer zurückgeführt wären. Nach den Mustern des medialen Empörungsrausches und den Denkschablonen der Politik würde allein eine nüchterne Darlegung wie diese als "rechts" eingeordnet. Die Autorin äußert sich weiter: "Verantwortlich für diesen Missstand ist eine nahezu unüberschaubare Vielfalt nichtstaatlicher Organisationen, die die Schwächen des Systems ausnutzen und für diese Tätigkeiten staatliche Gelder erhalten. Ihre Mitglieder skandalisieren alle Versuche, Migration zu steuern oder zu begrenzen, reflexartig als inhuman." Beschrieben werden sodann Verflechtungen, die zwischen der Bundesregierung und der evangelischen Kirche bestehen. Unterstützt werde etwa nicht eine tatsächlich wünschenswerte Seenotrettung von Schiffbrüchigen, sondern das "Schlepperunwesen", dem jährlich Tausende Menschen zum Opfer fielen. Organisationen betrieben Schiffe, die Migranten im Mittelmeer aufnähmen und nach Europa brächten. Damit würden, so die Autorin, Migrationsbewegungen verstärkt. Diese Meinung kann man haben. Aber stimmt das auch? Die "Seenotretterszene", so Schröter, werde "propagandistisch promotet": "Während der Ampel-Regierung wurden die losen Enden zwischen linken Nichtregierungsorganisationen, der evangelischen Kirche und der grünen Partei sichtbar miteinander verbunden. Der vorpolitische Raum wurde personell und finanziell an einen Staat gebunden, der sein Personal zwischen den Szenen mäandern ließ."
Nicht überraschend ist, dass Analysen und Bekundungen wie dieser Widerspruch hervorrufen und Kontroversen auslösen. Über den Sprachgebrauch lässt sich auch hier streiten. Gefragt werden darf aber ebenso: Wenn europäische Politiker die Fluchtursachen bekämpfen möchte, welche Maßnahmen sind dafür nötig? Inwieweit ist es sinnvoll oder geboten, dass Parteien, Institutionen und Organisationen auf Feldern der Politik so weitreichend zusammenarbeiten?
Weiterhin kritisiert Silvia Schröter das "System Universität". Dort könnten sich "kleine Gruppen" mit "kruden Ideologien" leicht durchsetzen, da die Mehrheit der politisch Indifferenten schweigen würde. Wer eine wissenschaftliche Laufbahn anstrebe, müsse dem Mainstream huldigen: "Hierarchien spielen vor allem für junge Wissenschaftler eine zentrale Rolle. Sie erhalten fast ausnahmslos befristete Anstellungen, auf denen sie sich weiterqualifizieren und eine Dissertation oder Habilitation anfertigen, aber auch innerhalb der wissenschaftlichen Fachgemeinschaft einen Ruf aufbauen müssen." Der Leser darf sich fragen: Wird ein Wissenschaftler in den Geistes- und Sozialwissenschaften, der ohne jede Diskriminierungsabsicht das generische Maskulinum verwendet, damit sich also nicht der Gendersprache bedient, noch eine Anstellung erhalten? Darf an Universitäten heute nur noch von "Studierenden" und nicht mehr von "Studenten" gesprochen werden? Schröter schreibt: "Es ist ein Leichtes, Personen mit unliebsamer Meinung in dieser Phase aus dem System zu drängen. Man kann die Annahme von Qualifizierungsarbeiten verweigern, Verträge nicht verlängern, Bewerbungen nicht berücksichtigen, Anträge auf Einwerbung sogenannter Drittmittel, von denen eine eigene Stelle finanziert werden könnte, nicht bewilligen, jemanden nicht zu Vorträgen einladen oder Veröffentlichungen boykottieren. All dies muss nicht begründet werden, und es gibt keine Einspruchsoptionen."
Ein letztes Beispiel sei genannt – Susanne Schröter kritisiert nämlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, eine "Besonderheit Deutschlands": "Mehr als neun Milliarden Euro stehen dafür jährlich zur Verfügung. Die Mittel resultieren weitgehend aus den Zwangsabgaben der Bürger und fließen unter anderem in hochdotierte Intendantengehälter." Schröter nennt als Beispiel die von den öffentlich-rechtlichen Medien in keiner Weise reflektierte, sondern euphorisch begrüßte Entscheidung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel im Herbst 2015, Flüchtlinge nicht an der deutsch-österreichischen Grenze zurückzuweisen. Die Bundespolizei habe bereitgestanden: "Die öffentlich-rechtlichen Medien flankierten diese Entscheidung mit Bildern von Frauen und kleinen Kindern, die allerdings nur eine kleine Minderheit der Menschen darstellten, die auf die Grenze zumarschierten. Die Mehrheit von ihnen waren junge Männer, deren Anblick weniger geeignet gewesen wäre, Mitleid und Sympathie zu erwecken. Die deutsche Willkommenskultur ist nicht zuletzt ein Ergebnis dieser selektiven Berichterstattung." Man kann sich auch fragen: Warum enden die zuvor zitierten Ausführungen über "junge Männer" nicht vor dem Komma? Wird nach dem Komma noch argumentiert? So viele Nebensätze sind vollständig entbehrlich, nach meiner unmaßgeblichen Meinung: besonders ein ausgesprochen unfreundlicher, unsachlicher Nebensatz wie der eben zitierte. Solche polemischen Bemerkungen stehen auch sachlichen Diskussionen über wichtige Themen im Wege. Etwa darüber, ob eine "selektive Berichterstattung" in deutschen Medien stattfindet – und ob heute in der medialen Öffentlichkeit kontrovers, nüchtern, sachlich und ernsthaft diskutiert wird.
Susanne Schröter äußert sich ungeschmeidig zu Phänomenen der Zeit. Man kann, darf und soll sich mit dieser Streitschrift natürlich auch kritisch auseinandersetzen. Die Autorin erwartet keine blinde Zustimmung. Herrscht gegenwärtig der linke Wokismus? Schröter fürchtet einen neuen "Sog des Totalitarismus". Stimmt das – oder übertreibt die Autorin maßlos? Wer sich dazu eine begründete Meinung bilden oder den Einschätzungen von Susanne Schröter energisch und fundiert widersprechen möchte, dem sei dieses provokative Buch zur Lektüre empfohlen.
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