Eva Illouz: Der Konsum der Romantik

Die Verbindung von Kapitalismus und Liebesideal in einer sich wandelnden Gesellschaft

"Weiß Gott, ich habe in dir immer nur dich selbst gesucht, mich einfach nur nach dir gesehnt und nicht nach dem, was ist." (Heloise an Abaelard, 12. Jahrhundert). Seit 2007 nun schon in der 8. Auflage zeigt, wie ungebrochen das Interesse an den Schriften einer der wohl renommiertesten Soziologinnen immer noch ist. Das in den USA preisgekrönte und in Deutschland hymnisch besprochene Buch zeigt, inwiefern die beiden Sphären, Kapitalismus und romantisches Liebesideal, sich längst wechselseitig beeinflussen und miteinander verschmelzen.

Das Regime der Verführung

Die Liebe bleibt eine der wichtigsten Mythologien unserer Zeit. Während Ehe und Liebesglück noch im 19. Jahrhundert eher ein tragisches, denn ein glückliches Gefühl darstellten, vermochte es der Aufschwung des Kapitalismus Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts mit Hilfe der Werbung eine Art religiöse Heilserwartung an die Liebe der Herzen schneller schlagen zu lassen. "Indem sie säkularisiert wurde, nahm die Liebesbeziehung die Eigenschaften des Rituals an und schöpfte zunehmend aus Themen und Bildern, die einen temporären Zugang zu einer machtvollen kollektiven Utopie von Überfluss, Individualität und schöpferischer Selbsterfüllung boten (...)", schreibt Illouz überzeugend über die transitorische Kraft der Liebe. Denn sie ermögliche durch ihr Supremat der menschlichen Beziehungen auch eine andere Gesellschaftsordnung: "Die Liebe vermittelt damit eine Aura der Transgression, sie verspricht und fordert eine bessere Welt". Ein Beispiel ist etwa Tristan und Isolde, die sich durch ihre Liebe über die gesellschaftliche Moral und Ordnung von König Marke einfach hinwegsetzen. Diese politische Kraft der Liebe verwandelte sich im Goldenen Zeitalter des Kapitalismus in Konsum, denn ein romantischen Rendezvous besteht einfach aus Restaurants, Kinos, Tanzlokalen bzw. Diskotheken. Der Markt drang in die Liebesbeziehung ein und bestimmte auch die Klassenidentitäten neu. Alsbald wurde romantische Liebe dann auch zur "Simulation der Kinofiktion", wie Illouz treffend bemerkt. Wie aber die Liebe zu einer Praxis wurde, die aufs Engste mit der politischen Ökonomie des Spätkapitalismus verbunden ist, das beschreibt Illouz in "Der Konsum der Romantik" so spannend, dass man einfach weiterliest. Ununterbrochen bis zum Ende.

Riding at ease on the wings of the breeze

Vorerst war es nur das Model T (Ford, 1914), das den "Salon des Werbens" aus der Privatheit in die Öffentlichkeit brachte. Doch alsbald verlegte sich die Brautwerbung in die Welt der Öffentlichkeit und wurde so zu einem lukrativen neuen Markt des Konsums. Nachdem der Triumph des Kapitalismus zum Zusammenbruch der Religion geführt habe, werde nun die Liebe zu einem Ersatzritual, das das Profane (die Arbeit) vom Heiligen (Familie) trenne. Freuds "ozeanisches Gefühl", die Liebe, trifft sich dabei mit der utopischen Fantasie des Kapitalismus: einer Gesellschaft fortwährender Freizeit, so Illouz. Die Erzählung imitiert dabei das Leben und das Leben ahmt die Erzählung nach, könnte man angesichts des Kults um diverse Liebesfilme konstatieren. Die Differenz zwischen Erwartung und Erfahrung klafft dabei oft genug so weit auseinander, sodass sich Heloises Versprechen achthundert Jahre später wohl deutlich anders anhören würde. Die ideale Liebe ist wohl das, was Illouz als "redselige Liebe" bezeichnet: "Zahlreiche Untersuchungen zu Liebe und Ehe stimmen überein, dass Kommunikation, Selbstausdruck, Selbstoffenbarung und verbale Intimität Voraussetzungen für eine erfolgreiche Beziehung sind und eine wichtige Rolle dabei spielen, romantische Empfindungen zu wecken und aufrechtzuerhalten." Auf diese Weise ließen sich etwa auch Klassengrenzen überwinden, die allzu oft eine tragische Rolle in Beziehungen spielen. Und schließlich ist Kommunikation auch völlig Konsum-frei, unterwirft sich also nicht den Prinzipien des Marktes. So gesehen ist die redselige Liebe auch ein Beitrag zu einer besseren Welt. Sie produziert nämlich deutlich weniger Müll.

Der Konsum der Romantik
Andreas Wirthensohn (Übersetzung)
Der Konsum der Romantik
Liebe und die kulturellen Widersprüche des Kapitalismus
343 Seiten, broschiert
Originalsprache: Englisch
Suhrkamp 2022
EAN 978-3518294581

Schlaf als letztes Refugium des Widerstands

Ein brillant geschriebenes Essay über die 24/7-Verfügbarkeit im Spätkapitalismus und seine gesellschaftlichen Implikationen.

24/7

Klasse: ein (re-)animierter Begriff

Haben wir viel zu lange "Klasse" vernachlässigt? Hobrack erklärt die Begriffsgeschichte eines vernachlässigten 5l-Wortes...

Klassismus

Vulgärliberale Ergüsse

Wer sich amüsieren oder ärgern möchte, vielleicht auch beides gleichzeitig, mag zu diesem Heftchen greifen.

Freiheit beginnt beim Ich

Wie Gefühle zu Waren wurden

Anthologie zur "Ware" Gefühl im Spätkapitalismus mit einer Reihe interessanter Beiträge.

Wa(h)re Gefühle

Warum Liebe weh tut. Eine soziologische Erklärung

Zwischen Autonomie und Anerkennung versucht sich auch in der Moderne die Liebe durchzuschlagen. Wird es ihr gelingen?

Warum Liebe weh tut

Strategien eines Dominators

Als wesentlichsten aller "westlichen Werte" identifiziert der Autor das Kapital, das Fundament der globalen Freiheit in einer US-definierten, unipolaren Welt.

Bis alles in Scherben fällt