Eine andere Sicht auf Stalin
Der britische Historiker und Journalist Simon Sebag Montefiore hat mit seinem Werk "Stalin - Am Hof des Roten Zaren" schon 2003 für Aufsehen gesorgt. Das vorliegende Buch zum jungen Stalin, der Zeit in der Illegalität, folgte 2007 und versucht das Wissen über Stalin zu popularisieren.
konspirazija gegen den Zaren
Die russische Geschichte des 20. Jahrhunderts wird durch vorliegende aufschlussreiche Darstellung zu einer brillanten Vorgeschichte der Geschehnisse in der späteren UdSSR. Die unscharf umrissene Hauptthese Montefiores dürfte sein, dass die Bolschewiki durch Illegalität und Verbannung sowie durch die Infiltration durch die Ochrana (zaristische Geheimpolizei) genau jene Reflexe lernten, die später, als sie an der Macht waren, ebenfalls wirksam wurden. Die sog. konspirazija (russ.: Verschwörung) forderte ihren Tribut. Wie Stalin nicht ohne Ironie sagte: "Die Partei hat mich nach ihrem eigenen Bild erschaffen". Die "Synchronizität von Mann und Moment" machten ausgerechnet einen Georgier zum mächtigsten Mann in Russland und der Sowjetunion, der durch die Schauprozesse in den Dreißiger-Jahren seine Macht bis zu seinem Tod (1953) zementierte. Die Paranoia, die durch Illegalität und Verbannung entstanden war, ließ Stalin auch vor seinen eigenen Parteikollegen nicht zurückschrecken. Selbst die Ehefrauen von Genossen wurden liquidiert, ohne dass ihre Ehemänner gegen Stalin aufgemuckt hätten. Gleichzeitig zeichnet Simon Sebag Montefiore ein Sittenbild der Bolschewiki in der Illegalität, denn die Sexualmoral saß nicht besonders tief. So hatte Stalin etwa ein Kind von einer 13-Jährigen, wobei hinzugefügt werden muss, dass man damals in Russland schon mit 14 (!) volljährig war. Aber auch ansonsten trieb es der Vorstadtgangster aus Gori oder Tiflis ziemlich bunt, wenn er etwa Ehefrauen, Töchtern oder Kindern nachstellte. Die konspirazija stand dabei natürlich stets im Vordergrund und verleihte dem Schürzenjäger die Aura eines Heiligen. Auch und gerade bei Frauen.
Sosso - der Mann des Moments
Im Mittelpunkt der Biographie des jungen Stalin stehen die Jahre in der Illegalität in denen "Sosso" (russ. Diminutiv von Josef) vor allem als Geldbeschaffer für die Bolschewiki fungierte. Aus Banküberfällen, Raubzügen und sogar Piraterie lukrierte Sosso größere Summen, die er an Lenin überwies. Dennoch lebte Stalin selbst immer asketisch in dieser Phase seines Lebens und musste sogar um Tantiemen seiner Artikel betteln, da er in der Verbannung kein Geld hatte und sogar hungerte und fror. Vielleicht hat auch der Besuch des Priesterseminars Stalin zu dem werden lassen, der er war. "Sämtliche in den Heiligen Schriften verbotenen Laster gediehen in diesen Brutstätten der Heuchelei", brachte es Trotzki damals auf den Punkt. Ein anderer Seminarist, Stalins Gefährte Macharadse, meinte, dass wohl kein Seminar wie das von Tiflis so viele Atheisten hervorgebracht hätte. Das Einzelkind Sosso hatte einen abtrünnigen Vater, Besso, und eine ihn verehrende Mutter und dichtete sogar manchmal. Er soll auch gerne georgische Heimatlieder gesungen haben und durchaus belesen gewesen sein. Einige seiner Gedichte eröffnen auch einzelne Kapitel dieser einzigartigen, auf neuen Archivfunden beruhenden Quellenforschung zum Leben Stalins. Montefiore widerspricht der verbreiteten Ansicht, dass Stalin ein Doppelagent gewesen sein könnte. Reißerisch berichtet der Autor im 34. Kapitel mit dem Titel "Eine arktische Sexkomödie" auch von Stalins Versagen während des Ersten Weltkrieges: "Während die Lichter überall in Europa ausgingen, war Stalin - irrelevant, vergessen, frustriert und gegen seinen Willen verlobt mit einem schwangeren heranwachsenden Bauernmädchen", so Montefiore. Zehn Jahre später war er durch Lenins Tod und die folgende Ausschaltung der Opposition der mächtigste Mann der Welt.
Weiterentwicklung des Leninismus: Stalin
Montefiore räumt auch mit dem Vorurteil auf, dass Trotzki, der lange Zeit der Gegenspieler von Stalin war, ihn immer richtig charakterisiert hätte. Die westliche Geschichtsschreibung übernahm gerne die Ansichten Trotzkis, allein deswegen, weil er ein Gegner des gefürchteten Staatenlenkers war, ohne diese jedoch zu überprüfen. Die Tschetwjorka ("Vierermacht") mit Lenin, Stalin, Trotzki und Swerdlow, die nach der Machtübernahme 1917 entstand, verschaffte Koba (ein anderer der vielen Decknamen Stalins, die eine ganze Seite füllen) einen großen Vorteil, den er nach Lenins Tod 1924 für sich zu nutzen verstand. "Die Ochrana mag es nicht geschafft haben, die Russische Revolution zu verhindern", schreibt Montefiore, "aber es gelang ihr so gut, den revolutionären Geist zu vergiften, dass die Bolschewiki einander noch dreißig Jahre nach dem Sturz des Zaren gegenseitig während der Hexenjagd auf nicht existierende Verräter umbrachten." Die oben bereits angesprochene konspirazija hatte langfristige Folgen, da sie ein Klima des Misstrauens, Verrats und der Paranoia erzeugt hatte, die erst nach der Machtübernahme ihr volles Gift entfaltete. Den Stalinismus sieht der Autor ganz klar in einer Linie mit dem Leninismus, also nicht als Entstellung, sondern als Weiterentwicklung desselben. Der "glorreiche" Oktober war für Montefiore vielmehr eine Farce, denn eine Revolution. Allerhöchstens ein Putsch gegen einen Diktator Kerenski, der allein durch Zufall gelang oder weil die Mehrheit der Russen einfach genug vom Zaren und seinem Krieg hatte, den Kerenski, der durch die Februarrevolution 1917 an die Macht kam, ja fortsetzen wollte. Das Glück der Bolschewiki war vielmehr die Losung "Brot und Friede", denn eine geniale Strategie zur Machteroberung. Eine spannende Biographie, wie man sie wohl noch nie gelesen hat.
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