Neuübersetzung des Klassikers
1950 erstmals im Original bei William Heinemann in London erschienen, erzählt der "Dritte Mann" die Geschichte eines Bestsellerautors Rollo Martins aka Buck Dexter, der in das zerbombte und ausgebrannte Nachkriegswien kommt, um dort seinen besten Jugendfreund Harry Lime zu treffen. Rollo Martins, der britische Staatsbürger, hatte sich als Buck Dexter mit billigen Western-Heftchenromanen schon einen Namen gemacht und wird deswegen in Wien auch einen Vortrag vor Literaturwissenschaftlern halten, was auch zu ein paar interessanten und witzigen Dialogen mit dem geschätzten Publikum führt, denn Engländer, die amerikanische Literatursujets ("Western") bedienen, fordern natürlich jeden Kritiker heraus.
Beginn und Ende am Wiener Zentralfriedhof
Der eigentliche Beginn und auch das Ende des Romans spielen am Wiener Zentralfriedhof und beides Mal wird Harry Lime begraben. Zuerst im Winter, wenn der Boden noch fast gefroren ist und dann im Tauwetter, wenn es schon leichter wird, den Boden aufzustechen und die Särge darin zu versenken. Rollo Martins glaubt nämlich von Anfang an nicht an die Theorie des "Unfalls", bei dem sein Jugendfreund umgekommen sein soll und gräbt immer weiter, bis er eine heiße Spur findet, die selbst den Erzähler der Geschichte, den englischen Besatzungsoffizier Calloway, blamiert und brüskiert, denn Martins hat ihm eigentlich seinen Job abgenommen: dem Penicillin-Hehler das Handwerk zu legen.
Showdown am Riesenrad
Als sich die beiden Freunde am Wiener Riesenrad schließlich begegnen und Lime Martins den Vorschlag macht, ihn an seinen krummen Geschäften zu beteiligen, hegen beide insgeheim Mordpläne gegeneinander, denn hoch genug stünde die Gondel ja beim Showdown. Der Dialog zwischen den beiden - am Höhepunkt der Handlung und am höchsten Punkt Wiens - dreht sich um die moralische Verantwortung Limes am Tod vieler Kinder, denn das Penicillin - damals, nach dem Krieg lebensnotwendig - wurde gestreckt, um den Profit zu vervielfachen. Graham Greene stellt Harry Lime in dieser Diskussion auf dieselbe Stufe wie einen gewissen Herren aus Braunau, denn auch dieser war ein gewissenloser Egoist: "Eine Schieberbande funktioniert ganz ähnlich wie eine totalitäre Partei."
Charakterstudien zu Besetzern und Befreiten
Auch über die Untertanenmentalität der Österreicher - oder zumindest der österreichischen Schieber - nach dem Krieg äußert er sich kritisch: diese würden die Verantwortung auf ihren Chef oder Führer abschieben: "Das Gefühl für einen regelrechten Arbeitgeber tätig zu sein, beruhigte das Gewissen vieler kleiner Männer: Bald waren sie in ihren eigenen Augen fast ebenso achtbar wie Lohnempfänger; sie gehörten einer Gruppe an, und wenn es eine Schuld gab, so trugen diese die Anführer". Bei Angelsachsen sei dies aber anders, etwa wenn Martins mit diesen Worten charakterisiert wird: "Man will immer alles selbst machen; man muss sich davor hüten, seinen Untergebenen die Schuld zu geben." Aber natürlich steht auch die Liebe zu einer schönen Frau zwischen den beiden ehemals besten Freunden, Anna Schmidt, eine Ungarin mit falschem Pass, die von Lime zwar beschützt wird, aber der er dennoch ebenfalls seinen Tod vorgaukelt.
Harry Lime: Peter Pan in disguise
Harry Lime sei kein "aalglatter Schurke", wie es in der Neuübersetzung heißt, sondern jemand der davon überzeugt sei, dass sein Glück auch der Welt Freude bereite. "Er ist nie erwachsen geworden. Marlowes Teufel hatten Knallfrösche am Schwanz befestigt: Das Böse war wie Peter Pan - es brachte die schreckliche und erschreckende Gabe ewiger Jugend mit sich." Und mit "Marlowe" ist hier keineswegs die fiktive Krimifigur Philipp Marlowe von Raymond Chandler gemeint, sondern vielmehr Christopher Marlowe, seines Zeichens der Mann, der Shakespeares Stücke verfasste und selbst ebenfalls seinen Tod vorgetäuscht hatte, um dauerhaft in der Anonymität weiterzuleben. Marlowe hatte offensichtlich aber bessere Freunde als Harry Lime.
Prächtig ausgestattetes Historien-Epos
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