In zwielichtigem Milieu
"Die schrecklichste Miene, die ein Boxer aufsetzen kann, ist das Lächeln." Gekonnt spielt Szczepan Twardoch auch in seinem dritten Roman auf der Klaviatur der hybriden Ich-Identitäten im Europa der Zwischenkriegszeit. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges tummeln sich in Warschau sowohl rechte als auch linke Weltverbesserer. Die Luft ist zum Zerreißen gespannt, als der Boxer Jakub Shapiro aus dem Schatten des Paten Kaplica ans Licht tritt.
Polnischer Antisemitismus vor Hitler
Schon in seinem Debütroman "Morphin" hatte sich Twardoch dem zwielichtigen Milieu verschrieben. Aber mit seinem Protagonisten Jakub Shapiro taucht er tief in die Warschauer Unterwelt ein und thematisiert sowohl rechte Putschpläne gegen die polnische Regierung als auch polnischen Antisemitismus lange vor der Okkupation Hitlerdeutschlands. Denn wie auch der Übersetzer Olaf Kühl in seinem Nachwort aufklärt, gab es Hörsaal-Ghettos und Numerus Clausus für jüdische Studenten schon lange vor 1939. Auch den im Roman beschriebenen Oberst Adam Koc sowie die Isolieranstalt Bereza Kartuska hat es tatsächlich gegeben. Dort wurden sowohl Regierungsgegner, Kommunisten, Nationaldemokraten als auch ukrainische Nationalisten "physisch und psychisch gebrochen".
Wird sich also Jakub Shapiro an "Palmen, Meer und Apfelsinen" in Palästina laben können oder bleibt er doch in Warschau einem unentrinnbaren Schicksal ausgesetzt?
Szczepan Twardochs Spiel mit den Mythen des organisierten Verbrechens macht auch vor einer alten Legende, Litani und dem Pottwal, nicht halt. Dieser schwebt nämlich gleichsam als Bedrohung und Aussicht auf Katharsis über dem Geschehen in den Warschauer Armenvierteln, wo sich sein Protagonist Shapiro vorrangig bewegt. Bordelle und harte Drohungen gehören ebenso zur Lebenswelt Shapiros wie die Tatsache, dass er sich selbst im Ring ab und zu eine Kippe in die Mundwinkel steckt. Natürlich nur "in der Ecke", den Pausen, dann, wenn er seine Gegner noch zusätzlich durch seine wilden Gesten demütigen kann. So wie seine Frau Emilia, die ihm zwei Kinder geschenkt hat oder Ryfka Kij, der er seine Existenz verdankt. Aber dann beginnt er zusätzlich noch eine fatale Affäre mit der Tochter des Staatsanwalts und bald wird auch für ihn das von seinem Bruder Moryc angepriesene Palästina zum letzten Ausweg. Einige Anspielungen auf Celan ("schwarze Milch") untermauern das geradezu prophetische Geschehen, das den eigentlichen Horror erst ankündigt. Wird sich also Jakub Shapiro an "Palmen, Meer und Apfelsinen" in Palästina laben können oder bleibt er doch in Warschau einem unentrinnbaren Schicksal ausgesetzt?Palmen, Meer und Apfelsinen
Als dramaturgischer Trick wird die Geschichte vom 17-jährigen Sohn Mojzesz des von Shapiro ermordeten Naum Bernstein erzählt. Sein Vater hatte seine Schulden beim Paten nicht bezahlt und musste deswegen sterben. Er wurde wie ein Hahn beim jüdischen Kapparot-Fest geopfert. Aber Mojzesz hat in Shapiro schnell einen Ersatzvater gefunden und kehrt nie mehr zu Mutter und Bruder zurück. Immer wieder macht der Roman Pause, indem er Mojzesz' Leben mit seiner Magda in Tel Aviv mehr als 50 Jahre nach dem Geschehen aufflackern lässt. Aber, wie oben angedeutet, verschwimmen die Identitäten und letztendlich weiß nur der Pottwal, der über den Köpfen der Protagonisten schwebt und nur von Mojzesz wahrgenommen wird, dass aller Schrecken, der hier passiert, nur der Vorgeschmack auf einen noch viel größeren ist. Die deutsche Übersetzung von "Der Boxer" von Olaf Kühl wurde 2018 mit dem Helmut-M.-Braem-Preis ausgezeichnet. Ein hinreißendes Werk, das Lust auf noch mehr von diesem außergewöhnlichen Autor macht, der seine eigene Welt in seiner ganz eigenen Sprache beschreibt.
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