Die unvollendete Revolution
"Der Wegfall der Sklaverei sorgte dafür, dass die Rassentrennung nunmehr auf dem Weg der Rechtsvorschriften durchgesetzt wurde", schreibt Michael Hochgeschwender im letzten Kapitel seiner kurzen Geschichte über den amerikanischen Bürgerkrieg. Etwa die Einführung der one drop rule, die besagte, dass jeder schwarz sei, der über ein schwarzes Großelternteil verfügte, erinnert stark an die Nürnberger Rassengesetze und tatsächlich gingen die weißen Angelsachsen nach 1865 - dem Ende des Bürgerkriegs - viel weiter in ihrem Rassismus, der das paternalistische Herrschaftsverständnis der Antebellum-Ära nunmehr vollends durch die herrenvolk democracy ersetzte. Der Bürgerkrieg, der weniger um die Frage der Befreiung der Sklaven als vielmehr wegen der Diskussion um die Einzelstaatenrechte entbrannte und damit die "Union" gefährdete, hatte in der Rekonstruktionsphase nach dem Bürgerkrieg zwar die Sklavenbefreiung erreicht, der Rassismus im Süden war deswegen aber noch lange nicht beendet. Das zeigt auch die Gründung des Ku Klux Klan, einer terroristischen Vereinigung zur Unterstützung der weißen Vorherrschaft im Süden, nach dem Bürgerkrieg.
Segregation oder Apartheid?
"Das rituelle (sic!) Töten meist schwarzer, männlicher Opfer vor großen Mengen von Schaulustigen, meist unter dem Vorwand, sie seien Mörder oder Vergewaltiger" diente nach dem Ende des Bürgerkrieges zur Aufrechterhaltung der white supremacy im Süden, was mehrere Tausend Opfer durch Lynching oder Kastration zur Folge hatte. "Ab 1867 wurden Massaker regelrecht zur Normalität und sie blieben es bis weit in die 1870er Jahre hinein", schreibt Michael Hochgeschwender und hält fest, dass sich die USA damals sogar dem "Zustand der Unregierbarkeit" angenähert hätte. Die Jim Crow Gesetze bedeuteten zum Beispiel auch die Rücknahme des Wahlrechts für Schwarze und die Einführung spezieller Steuern, darüber hinaus aber vor allem die totale Segregation der weißen und schwarzen Bevölkerung in der Öffentlichkeit: bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts durften Schwarze in den USA weder dieselben Schwimmbäder, Badestrände, Eisenbahnwaggons, Schulen oder Universitäten benutzen, noch sich anderweitig auffällig benehmen, ohne Strafen zu befürchten. "Zwischen 1880 und 1920 wurden über 3200 schwarze Männer gelyncht, oft nach Vorankündigung in Zeitungen und Plakaten sowie verbunden mit dem kommerziellen Verkauf von Eintrittskarten und Körperteilen (sic!) des getöteten Schwarzen." Ohne Gerichtsverhandlung, ohne Urteil, aus bloßer Willkür auf einen Verdacht hin.
Rassismus und Repression
Für den Süden bedeutete die Niederlage aber neben dem Verlust der Sklavenhaltung auch zu einer "Binnenkolonie der expandierenden, hochimperialistischen, weltweit führenden Industrienation USA zu werden", wie Michael Hochgeschwender pointiert formuliert. Die brillant vorgetragenen neuesten Forschungsergebnisse schließen damit, dass es sich beim Bürgerkrieg und der Rekonstruktion Amerikas um unvollendete bürgerliche Revolutionen handelte, die für den Nationsbildungs- und Nationswerdungsprozess aber ohnehin unabdinglich gewesen wären. Und dass selbst die Staatsmänner des 20. Jahrhunderts nicht vor dem Erbe des Bürgerkriegs - dem Rassismus - gefeit waren, zeigt auch die Tatsche, dass der liberal-reformistische Präsident und Historiker Woodrow Wilson ("to make the world safe for democracy") einen wüsten KKK-Propagandafilm wie "The Clansman" (D.W. Griffith) für die tatsächliche Wirklichkeit des Lebens im Süden hielt. Darin werden die Klansmitglieder als edle Ritter zum Schutz der Ehre des Südens und seiner Frauen dargestellt. Der Klan wurde bei Erscheinen des Films, 1915, wiederbegründet und trieb noch bis in die Sechziger sein Unwesen.
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