Spirituell mit dem Fahrrad unterwegs
Zu den Mystikern der Moderne gehört Madeleine Delbrêl, die französische Sozialarbeiterin und Künstlerin, die von 1904 bis 1964 lebte, den Dienst an den geistlich armen Menschen als Berufung für sich erkannte und ohne Berührungsängste an den Randgebieten der menschlichen Existenz tätig war, erfüllt vom "Verlangen nach Heiligkeit". Diese Sehnsucht erfordert in jeder Zeit ein spezifisches Charisma und gewinnt einen stets besonderen Ausdruck.
Im 20. Jahrhundert gelte es, den Mitmenschen zu helfen und "im Lärm ihrer Maschinen und Autos und in all dem Getöse, das uns umgibt, echte Christen zu sein". Doch was bedeutet es, wirklich echt im Glauben verwurzelt zu leben und zugleich die eigene Sendung zu entdecken? Wie kann das gelingen? Madeleine Delbrêl spricht von den "Leuten des gewöhnlichen Lebens": "Es sind Leute, die eine gewöhnliche Arbeit verrichten, die gewöhnliche Verheiratete oder gewöhnliche Unverheiratete sind." Das klingt ausnehmend unspektakulär, und das ist es wohl auch, außerordentlich alltäglich. Diese Menschen haben "gewöhnliche Krankheiten und gewöhnliche Traueranlässe", sie führen ein gleichförmiges Leben, haben sich eingerichtet, leben dahin, wie man so lebt, institutionell gefestigt, in sich vielleicht doch traurig. Es ist, als hätten sich alle Türen hinter ihnen längst geschlossen. Ihre eigene Berufung sieht sie im Gegensatz zu den Menschen in der Gesellschaft: "Wir andern, wir Leute von der Straße, glauben aus aller Kraft, dass diese Straße, diese Welt, auf die Gott uns gesetzt hat, für uns der Ort unserer Heiligkeit ist." Das, was Delbrêl mit Heiligkeit bezeichnet, beschreibt eine Form der Existenzweise, die nicht in ferne Länder führt und auch nicht hinter verschlossene Türen, die sicherlich symbolisch auch für verschlossene Herzen stehen, sondern mitten hinein in die Welt der Alltäglichkeit, wie sie sich auf den Straßen dieser Welt zeigt, eine Berufung, der sie "hartnäckig" folgen möchte, "ohne Gelübde, ohne Ordensgewand, ohne besondere Traditionen": "Wir haben nur ein Ziel, und zwar nicht das Ziel, etwas zu tun, sondern das Ziel, etwas zu leben: das Abbild Jesu Christi zu sein, indem wir sein Evangelium leben."
Damit bezeichnet die Mystikerin die Offenheit für kleine Gelegenheiten zu Begegnungen, die nicht ausgesucht werden, sondern die sich wie zufällig unterwegs ergeben: "Wir glauben, dass die Liebe keine glanzvolle, dafür aber eine aufzehrende Angelegenheit ist; wir denken, dass wir, wenn wir für Gott ganz kleine Dinge tun, ihn ebenso lieben können wie mit großen Aktionen. Im Übrigen halten wir uns für schlecht informiert, was das Format unserer Taten angeht." Ihre mystische Anschauung, die "jede kleine Unternehmung" zu einem "gewaltigen Ereignis" werden lässt, "in dem uns das Paradies geschenkt wird oder in dem wir selbst das Paradies verschenken können", verdeutlicht sie wie folgt: "Reden oder schweigen, etwas flicken oder einen Vortrag halten, einen Kranken pflegen oder auf der Schreibmaschine schreiben, all das ist nur die Rinde einer herrlichen Realität: der Begegnung der Seele mit Gott, die sich in jeder Minute erneuert …"
Den Außenseitern der Gesellschaft, den Armen, gehört Madeleine Delbrêls volle Sympathie – und sie haben viele Gesichter. Sie denkt nicht nur an materielle Nöte, sondern ebenso an jene Menschen, die ganz in ihrem Alltag sich eingerichtet haben, aber inwendig wie verkümmert sind. Oft bemerkt ein Mitmensch gar nichts von seiner existenziellen Verlorenheit, von seiner inneren Einsamkeit: "Diesen Menschen, unseren Kameraden, der von uns nur durch eine Maschine, durch einen Bürotisch, durch den Hausflur, durch die Breite unserer Straße getrennt ist, müssen wir wieder einholen, indem wir ihn wie einen wirklichen Bruder behandeln. Aber wir müssen ihm dorthin folgen, wo er allein ist, wo er ohne Gott ist. Wir müssen ihm in die Wüste folgen, die ihm gar nicht bewusst ist." In dieser Wüste, in den Wüsten des Alltags, entdeckt Madeleine Delbrêl den Ort der Begegnung untereinander und mit Gott. Heute sei die Stunde der "Fahrradspiritualität":
Es ist wie mit einem Fahrrad,
das sich nur aufrecht hält, wenn es fährt;
ein Fahrrad, schief an der Wand lehnt,
bis man sich darauf schwingt
und schnell auf der Straße davonbraust.
Die Zeit, in der wir leben,
ist gezeichnet von einem allgemeinen,
schwindelerregenden Ungleichgewicht.
Sobald wir uns hinsetzen, unser Leben zu betrachten,
kippt es und entgleitet es uns.
Wir können uns nur aufrecht halten,
wenn wir weitergehen,
wenn wir uns hineingeben
in den Schwung der Liebe.
Madeleine Delbrêls Gedanken und Gedichte sind eine geistliche und literarische Entdeckung für alle, die eine verborgene Sehnsucht spüren nach jener Wirklichkeit, die über diese Welt hinausreicht oder doch hinausreichen könnte. Dies ist ein Buch für Gläubige, ebenso für Zeitgenossen, die glauben möchten, und auch für jene, die nicht mehr oder noch nicht glauben können. Die französische Mystikerin öffnet auf gewisse Weise Türen im Alltag und zeigt hinaus in die große Weite. Dieser tiefgründige Band lädt zu lichtreichen und hoffnungsvollen Lektüren ein.
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