Whitest Man Alive & Dead
"He was the whitest man I’ve ever seen", attestiert der Gitarrist Carlos Alomar David Bowie, sogar "translucent white", aber dennoch hatte er Soul, sogar schwarzem Soul, wenn auch manche ihn als Plastic Soul bezeichneten: merkwürdig unterkühlte Tanzmusik, motorisierte Rhythmen mit herzzerreißend leidenschaftlichem Gesang. Ein Widerspruch? Oder meinte Alomar vielleicht nur Bowies Kokainkonsum?
Der ewige Wiedergänger
Der ewige Wiedergänger habe sich in einer "Ästhetik des Neuerscheinens" Zeit seines Lebens immer wieder neu erfunden, aber auch immer wieder neu verabschiedet und damit die ewige Spirale der Reproduzierbarkeit eines Kunstwerks zu seinen eigenen Verwertungszwecken benutzt. "All die wiederkehrenden Signale, Analogien, Zitate usw. in Bowies audio-visuellen Arbeiten haben somit eine ausgewählte Funktion: Sie übernehmen und mobilisieren Anschlusskommunikationen, in denen das Werk sich selbst als Werk erkennen kann", schreibt Kelleter und sieht in Bowies Videos und Liedern ein umfangreiches Repertoire an Gebärden und Bewegungen, die dann über Jahrzehnte hinweg wiederholt und abgeändert worden seien. David Bowie war auch der erste Musiker, der sich selbst an die Börse brachte und das Internet gezielt für Promotions- und Vertriebszwecken nutzte.
Überraschender Tod und Wiedergeburt?
So erging es wohl auch vielen am denkwürdigen 8. Januar 2013, dem Morgen seines 66. Geburtstages, als plötzlich sein Lied "Where are we now?" durch das Internet geisterte und mit eindeutigen Referenzen an seinen größten Erfolg, "Heroes" (das er in den Siebzigern in Berlin geschrieben hatte), aufwartete. Das Plattencover zur folgenden Platte "The Next Day" war sogar dasselbe wie "Heroes" (1977), bis auf die Tatsache, dass sein Gesicht durch ein weißes Quadrat abgedeckt wurde, in dem dann der Titel der neuen Platte von 2015 stand. Die Popkultur habe in Bowie also nicht nur ihren größten Theoretiker und Praktiker des Comebacks hervorgebracht, schreibt Kelleter, sondern auch einen geschlechts- und alterslosen heimatlosen Astronauten, dessen "heimliche Heimat" wohl tatsächlich der Mars gewesen sein könnte, dem er in seinem Frühwerk viele Referenzen erwiesen hatte. David Bowie impersonifizierte unter anderem auch Starman, Aladdin Sane ("a lad insane"), Ziggy Stardust, Major Tom, Elephant Man, einen Plastic Soulster, Roquairol, der "thin white duke" "well hung and snow-white tan", eine "lesbische Christusfigur" in "barocker Dekadenz", einen rhizomatisch brillanten Unterhaltungskünstler und avantgardistischen Experimentator zwischen Artifizialität und Wahrhaftigkeit, gezwungen zu einer Strategie paradoxer Harmonisierung. Ein Weimarer Hedonist, Berliner, eine glamouröse Drag Queen, der die Abfolge separierter Posen in momentanen Erstarrungen überzeugend inszenierte.
Bowie über alles
Bowies Karriere ließe sich als eine Reihe von Abgängen erzählen, auf die ein stets vorhersehbarer, dann aber wundersam überraschender Neuauftritt folgte, schreibt Kelleter. Ästhetische Würdigungen seines Werks sollten - nach Kelleter - also weniger von Bowies Wandlungsfähigkeit als vielmehr von seinem Talent zur Wiederkehr sprechen. Und das auch nach seinem Tod am 10. Januar 2016, zwei Tage nach seinem 69. Geburtstag. Nach dem Begräbnis kursierte eine Meldung durch das Web, dass der Meister weitere Platten für die kommenden Jahrzehnte komponiert habe und diese in kalkulierten Zeitabständen erscheinen werden. Eine Bestätigung von Kelleters These. Als weiterführende Literatur zu seiner lesenswerten Hommage an das Pop-Chamäleon empfiehlt Kelleter u. a.: das Bowie-Burroughs Interview, Schwerpunkthefte der Schweizer Kunst-Zeitung "du".
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