Erich Keller: Das kontaminierte Museum

Historisch belastete Kunst im schicken Neubau des Kunsthauses Zürich

Selbst Tatsachen werden in der veröffentlichten Meinung nicht selten als strittig bezeichnet. Strittig ist die harmlose Beschreibung. Die Begriffe Verleugnungen und Verharmlosungen wären treffender. Besagte Verhaltensweisen finden gerade dann gerne Anwendung, wenn vom Mainstream als relevant auserkorene Organisationen oder gar Personen hinsichtlich ihrer Positionierungen kritisiert werden. Sind gar die offizielle Geschichtsschreibung und/oder das aktuelle Ansehen von Personen, Orten, Institutionen betroffen, wird es ernst. Eines dieser aktuelleren Beispiele betrifft die Schweiz, genauer die Stadt Zürich. 

Der Historiker Erich Keller steht im Visier. Sein 2021 erschienenes Buch "Das kontaminierte Museum – Das Kunsthaus Zürich und die Sammlung Bührle" passt einigen Honoratioren nicht. Keller stört die verordnete Harmonie, er bringt sozusagen Unruhe in den eidgenössischen Bergfrieden. 

Der Stein des Anstosses ist darin zu finden, dass sich besagter Autor Emil G. Bührle, dessen Kunstsammlung und dem Zustandekommen der Ausstellung von Teilen derselben im Kunsthaus Zürich widmet. Bührle ist ein zu Recht belasteter Name, er war eine zu Recht belastete Person. Dieser unsäglichen, deutschstämmigen Figur mit späterer schweizerischer Staatsbürgerschaft und seiner unerbittlichen Profitgier klebt Blut an den Händen. Direkt als auch indirekt. Primär gehört Bührles 'Verstrickung', wie es gerne verharmlosend heißt, mit dem faschistischen Regime in Deutschland zu den dunklen Seiten. Der sogenannte Kaufmann handelte nicht alleine mit Raubkunst der Nazis, sondern arbeitete auch intensiv mit ihnen zusammen. Seine faschismusaffine, "rechtsnationale Gesinnung" (S. 16) stand ihm dabei alles andere als im Wege. Während er mit geraubter Blutkunst erst richtig abkassierte, profitierte Bührle bereits vorher beziehungsweise gleichzeitig vom Kreuzzug der deutschen Faschisten gegen fast alle und fast alles. Eine seiner ihm gehörenden Firmen, die Ikaria, produzierte beispielsweise Flugzeugbewaffnungen für die Nazi-Luftwaffe; selbstverständlich auf dem Rücken und bis in die Gräber unzähliger KZ-Häftlinge. Das nur am Rande. Dies alles stellt Keller lobenswerterweise ausführlich dar, listet Fakten auf. Fakten stören hin und wieder.

Die politisch Verantwortlichen Zürichs entschlossen sich, relevante Teile der Kunstsammlung dieses Profiteurs von KZ-Arbeit und Raubfeldzügen gegen die jüdische Bevölkerung weiter Teile Europas im Kunsthaus Zürich auszustellen. Jenes Vorhaben sollte ursprünglich kritisch hinterfragt und wissenschaftlich neutral begleitet werden. Akademische Neutralität ist übrigens ein Thema für sich. Es gestaltete sich in der Realität aber so, verdeutlicht Keller, dass auf diese wissenschaftliche Begleitung, wozu ein Forschungsbericht gehörte, von interessierter Seite "Einfluss genommen wurde" (S. 64). Warum? Um der geplanten Ausstellung sowie den dazugehörigen Bildern eine gewisse Unbedenklichkeit zu bescheinigen. Dem Standortmarketing Zürichs wurde somit Vortritt vor einer historisch halbwegs korrekten Aufarbeitung gegeben. Verantwortlich zeigen sich politische Akteure der Schweiz im Allgemeinen und Zürichs im Besonderen.

Keller geht in seinem Buch nicht nur auf diese unbotmässige Einflussnahme, sondern vor allem auf den komplexen historischen Hintergrund ein. Er thematisiert unter anderem die Herkunft und Machenschaften des Herrn Bührle ausführlich. Der Autor hinterfragt auch, warum und mit welchen Mitteln eine kritische, wissenschaftliche Begleitung ausgehebelt, zumindest stark behindert wurde. Das macht das Buch in mehrfacher Hinsicht nicht alleine für Historiker interessant. Letztendlich geht es auch darum, wie sich die Schweizer Politik zu Kunstwerken positioniert, die ohne die Verbrechen des Faschismus nicht zu sehen sein würden, wo sie nun ausgestellt werden. Keller spricht daher von der Kontamination des ausstellenden Museums und somit der Entscheidungsfindung Verantwortlicher, da dieser Begriff "die 'historische Belastung' nicht als einen in der Vergangenheit liegenden Vorgang, sondern als immer noch andauernden Prozess" fasst. Da liegt er wohl nicht falsch.

Das kontaminierte Museum
Das kontaminierte Museum
Das Kunsthaus Zürich und die Sammlung Bührle
192 Seiten, broschiert
EAN 978-3858699381

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