Existenzialisten beim Aprikosencocktail
Dass der unique französische Existentialismus eigentlich auf die Begegnung Raymond Arons, eines Studienfreundes von Sartre, mit Martin Heidegger in Berlin zurückgeht, ist ein Zeugnis der Verbundenheit der beiden Länder in einer Disziplin, wo man es am wenigsten erwartet hätte: in der Philosophie. Genauer gesagt eigentlich in der Phänomenologie, die etymologisch das meint, "was erscheint" und erstmals forderte, das, was ist, so präzise wie möglich zu beschreiben. Es ginge weniger darum zu klären, ob die Dinge real sind, als vielmehr, was es für das Ding bedeute zu sein. Wer jetzt schon aufgibt, dem sei angeraten, an dieser Stelle das Buch selbst aufzuschlagen, denn eine so amüsante und unterhaltsame Art in die Phänomenologie, den Existentialismus und die Philosophie eingeführt zu werden, so etwas gibt es wohl nur einmal, bei Sarah Bakewell.
Extropie, Entropie, Existenz
Jean-Paul Sartre, der nicht nur eine Sehstörung hatte, sondern dessen rechtes Auge auch ständig nach außen wanderte (Extropie), gehört wohl zu den belesensten Menschen der Welt und als er zur Zeit der Machtübernahme der Nazis in Berlin studierte, sah er zwar die Schriften Heideggers klar, nicht jedoch die Ereignisse um ihn herum. Ein politisches Versäumnis, das er nach dem Krieg noch nachholen sollte, denn seit den Vierzigern gilt er als der "engagierte Intellektuelle" par excellence. Genauso wie seine Lebensgefährtin Simone de Beauvoir, die für den Feminismus mit ihrem Buch "Das andere Geschlecht" unbestreitbar wesentliche Impulse geleistet hat und mit ihrem Werk vielleicht noch einflussreicher als Sartre selbst war. In Sarah Bakewells Buch geht es aber nicht nur um das Philosophenehepaar schlechthin - die übrigens niemals zusammenlebten -, sondern wie gesagt um die Phänomenologie und den Acker auf dem dieser wuchs. So beschäftigt sich Sarah Bakewell in ihrem lesenswerten und auch unterhaltsamen Werk ausführlich auch mit Karl Jaspers, Martin Heidegger, Maurice Merleau-Ponty, Albert Camus, Colin Wilson, Richard Wright, Jan Patocka u.v.a.m.
Symphilosophein oder die mauvaise foi der Zazous
"Die Existenz geht der Essenz voraus" ist vielleicht einer der Schlüsselsätze zum Verständnis der philosophischen Bewegung, die die Ansichten so vieler Menschen in den Sechzigern prägte. Sartre hätte die Philosophie aus einem "Schwindelgefühlt" gemacht, aus "Voyeurismus, Scham, Sadismus, Revolution, Musik und Sex. Viel Sex." Besonders nach Kriegsende hätte seine Philosophie, die auf der Freiheit aufbaue, eine Chance gehabt, schreibt Bakewell, denn alle anderen Autoritäten und Institutionen hatten durch den Krieg ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. In den Vierzigern war Existenzialist noch eine Bezeichnung für jemanden der freie Liebe praktiziere, zu Jazzmusik tanze und schwarze Rollkragen trug. Sartre und Beauvoir aber auch Vian und Greco lebten eine offene Beziehungsform. Heidegger hingegen war "der Alte vom Berg", der aus dem Schwarzwald/Todtnauberg seinen defizienten Modus des "Nur-noch-vorhandensein eines Zuhandenen" pflegte. Ein leeres Heftgerät, das "zahnlos auf das Papier sackt" oder ein Hammer, der nicht mehr auf einen Nagel trifft kann zum "Kollaps des Sinngefüges" führen, das Sartre so treffend in seinem Roman "Der Ekel" beschrieb, denn der Existentialismus konstatiert auch, dass die Verbindungen zwischen den Dingen verloren gegangen sind. Heute nennt man das gerne Kontingenz: "das zufällige, unfassliche Dasein der Dinge in ihrer schlichten Tatsächlichkeit", "mauvaise foi" nannte es Sartre später: wir machen uns ununterbrochen etwas vor, denn nur so könne wir leben. Am besten ist der Existenzialismus vielleicht mit folgenden Worten beschrieben: Die jungen Leute der Vierziger, die zazous, umgingen die Ausgangssperre einfach dadurch, dass sie erst am nächsten Tag nach Hause zurückkehrten und die ganze Nacht durchfeierten. Und vielleicht ist auch das das eigentliche "Phänomen": im Jetzt zu leben.
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