Der Blitzmann erhält Besuch von Jesus in Begleitung des Zwergpriesters
Spitznamen sind weit verbreitet und lehnen sich häufig an Idole an. In David Means Kurzgeschichten jedoch haben die Protagonisten häufig Namen mit metaphysischem Anklang, selbst wenn Religion in ihren Leben keine Rolle spielt. Genauso ungewöhnlich wie die Wahl der Namen der Figuren sind die Szenarien, in denen diese sich bewegen. Sei es, dass eine Moorleiche etwas über sich, seine toten Nachbarn und seinen Ausgräber erzählt oder sich ein Goldfisch als "Unkapputbar" erweist; der Autor beweist außerordentliches Erfindungsreichtum.
Seine Geschichten drehen sich häufig um unverarbeiteten Verlust, Trauer, Verdrängung, Hoffnungslosigkeit, Vergessen und die sich daraus ergebenden Emotionen. Doch seine Protagonisten geben selten auf, sondern lehnen sich vehement auf und kämpfen gegen ihr angebliches Schicksal. Gerade dann, wenn der Leser schon glaubt, ein Licht am Ende des Tunnels zu sehen, schlägt David Means unbarmherzig zu. Dabei muss der Protagonist nicht zwangsläufig sein physisches Dasein beenden. Allerdings stellt sich manchmal das befremdende Gefühl beim Leser ein, dass der Tod die bessere Alternative gewesen wäre.
Besonderes Geschick beweist Means bei der Verknüpfung der parallelen Erzählstränge und den überraschenden Wechseln der Erzählperspektive. Seine durchdachten Figuren sind psychologisch stimmig und steuern meistens auf Umwegen ihrem persönlichen Armageddon entgegen. Gerade die überraschenden Wendungen der konsequent zu Ende geführten Episoden tragen erheblich zum Lesevergnügen bei. Manchmal geht David Means dann sogar so weit, durch Anmerkungen oder Nachträge das "glückliche" Ende nochmals in eine andere Richtung zu biegen oder in Frage zu stellen. Als Beispiel mag hier "Die Störung" dienen, in der sich ein Stadtstreicher unter eine Hochzeitsgesellschaft mischt, um nicht zu erfrieren. Am Ende scheint dies zu gelingen "doch beließe man es dabei, so beließe man die Männer in ihrem Zustand eklatanter Hoffnung". Diesen klebrig-süßlichen und völlig realitätsfremden Abschluss der Story will uns David Means natürlich nicht zumuten und so gibt es einen Anhang, der die Sache richtig stellt und dem Leser jede Hoffnung auf ein versöhnliches Ende raubt.
Gewürzt sind die Episoden mit Ironie oder Sarkasmus. So schreibt er in "Was ich mir erhoffe": "Ich will nicht, dass in meinen Geschichten noch irgendjemand stirbt. Von jetzt an soll das Leben herrlich sein." Nur um ein paar Seiten weiter die Story "Diverse Feuervorfälle" mit: "Das erste Haus, das er an jenem Tag in Brand steckte, loderte in wunderschönen Farben, phantastisch, hell, eine Stunde lang, bis die Feuerwehr kam." Nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Der Leser muss immer darauf gefasst sein, dass sich der Autor in der nächsten Geschichte selber widerlegt. Dieses Spiel mit Realitäten, Ansichten, Erzählperspektiven und Identitäten beherrscht er perfekt. Allerdings führt dies manchmal zu einem verwickelten Verlauf, der durch die Komplexität des Stils noch verstärkt wird.
Der bei Dumont erschienene Erzählband namens "Coitus" enthält insgesamt 20 Kurzgeschichten. Diese wurden den beiden Sammlungen "Assorted Fire Events" aus dem Jahre 2000 sowie "The Secret Goldfish" aus 2004 entnommen. Ein Hinweis des Verlages, nach welchen Kriterien die Auswahl erfolgte, fehlt leider. Auch warum ausgerechnet die Geschichte "Coitus" als Titel herangezogen wurde, bleibt unklar. Einmal abgesehen davon, dass es sich dabei um eine der Schwächeren handelt, könnte man vielleicht versucht sein, vom Titel auf den Inhalt zu schließen. Da David Means die Realität wirklichkeitsgetreu abbildet, haben seine Figuren auch Sex. Dies liest sich dann so: "? und sie sagt: Ich komme, leise, kaum ein Hauch zwischen ihren Lippen, welche die Erinnerung geschaffen hat, die Erinnerung, die aus uns ein Durcheinander gemacht hat, verdreht, zerrissen von dem Versuch, diese Momente zu finden, die dunkelroten Flanken eines Kanus am Ufer, der reine Wind aus dem Norden, der durch die Nadelbäume faucht, die Idiotie, die darin liegt, von einem Ort zum anderen zu fahren, einfach nur, um es zu tun, obwohl man es gar nicht müsste?"
Fazit: Unglücklich benannter Kurzgeschichtenband mit ungewöhnlich ausgefallenen und komplexen Szenarien, psychologisch ausgereiften Figuren und phantastischen figurativen Einschlägen. Der lyrische Erzählstil - gepaart mit dem ironischen Unterton und den konsequent zu Ende geführten Episoden - macht "Coitus" zu einem Lesevergnügen. Ein Buch für alle Freunde Hemingways oder Denis Johnsons.
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