Wie ein sanfter Glockenklang
Philippe Jaccottet lebte seit 1953 in Grignan, dort starb er am 24. Februar 2021 mit 95 Jahren. Clarté Notre-Dame, ein dort in der Nähe gelegenes Dominikanerinnenkloster mit einer schlichten, schlicht schönen Kapelle, schenkt seinem letzten Buch den Titel. Ein Glockenklang führt den Dichter zurück in die Räume seiner Kindheit, nachdenklich, schwebend, besonnen, doch nicht traumwandlerisch. Das Buch versammelt Prosa und Poesie aus den letzten zwanzig Jahren seines Lebens und weist ins Offene hinein, das mehr als eine nicht auszuschließende Möglichkeit sein könnte.
Wie sehr, mit behutsamer Entschiedenheit, hätte sich Philippe Jaccottet dagegen gewehrt, wenn seine zarte Prosa und scheue Lyrik als beispielhaft, besonders und besonders wertvoll bezeichnet worden wäre. Er schreibt doch nur, was er sieht, erfährt und ahnt. Sind das nicht nur Impressionen, poetisch verdichtete Eindrücke und Beobachtungen, die in sprachlicher Gestalt erscheinen? Mitnichten – und warum auch – stellt Jaccottet eine gravitätische Philosophie vor, die dann im Gewand der Dichtung auftritt, als bedeutendes Gleichnis des Vergänglichen. Er ist der Endlichkeit dieser Welt, ihrer leisen, stillen Schönheit so zugetan – und auch das, was über die Endlichkeit hinausreichen könnte, scheint auf, in schwebenden Andeutungen.
Jaccottet würdigt einen verstorbenen Freund. Unsicher bleibt er, ob er "nötigen Mut aufbrächte" für Worte des Gedenkens an einen verstorbenen Weggefährten, für den es am 21. April 2001 "keine richtige Trauerfeier geben" würde. Er skizziert eine Gedenkrede. Der Verstorbene sei "bewundert" und "geliebt" worden, auch für seine Leidenschaft, für "sein Feuer, das er sich trotz allem, was er ertragen musste, erhalten hat bis in die letzten Tage". In Erinnerung bleibe er, mit einem, so der Dichter, heute unaussprechlichen Wort bezeichnet, als "der Edelmütige". Ein "Gefühl von Merkwürdigkeit" stellt sich in der Kapelle ein: "Offenbar war tatsächlich nichts, gar nichts vorbereitet, organisiert; von einer Zeremonie, einem Ritus, die wohl niemand von uns erwartete, ganz zu schweigen; aber nicht einmal der Ansatz einer Ordnung: eine Art von seltsamer Verstörung, auch etwas Wildes, das letzten Endes vielleicht sogar passte." Der Abschied vollzog sich ohne Liturgie, "die ich altmodischer Mensch lieber gehabt hätte", auch wenn solches dort nicht angemessen gewesen wäre. Oder doch? Jaccottet denkt an den Verstorbenen, an seine Worte, an "Blumen, ganz entgegengesetzt dem morastigen Grab, Worte, die hier erblühten, wild": "Wie viele Unglückliche haben von Jahrhundert zu Jahrhundert gesagt, dass uns die Blumen gewährt wurden, um unsere Ketten zu verdecken, um uns am Anfang zu täuschen und uns immer weiter festzuhalten bis ans Ende! Sie bewirken mehr, aber vielleicht recht vergeblich: sie scheinen auf etwas hinzudeuten, was kein menschlicher Kopf ergründen wird."
Manche Worte, die "mit leicht zitternder Stimme" und doch so "genauer Einfühlung" vorgetragen werden, sind, als "füllten sie den gesamten Raum und lösten sich auf im Nebel, der den Horizont verbarg". Wie schön, so denkt Jaccottet nach, sei doch eine "stillschweigende Freundschaft": "So also kann es geschehen, dass Sichtbares und Unsichtbares sich miteinander verweben, die Dinge der Natur, die Tiere, die Menschen, lebende und tote, und ihre Worte, alte oder neue, wie auch das Leid und eine Art von Freude. Hat man jedoch mit seinem innersten Ich, so schwach man auch sein, so hinfällig man auch werden kann, etwas gestreift, ähnelnd dem innersten Mysterium des Seins, wie man es dann vergessen, wie es verschweigen?"
Jaccottet spricht von "Zeichen, die Hilfen sind und die seltener werden":
"Gibt es hier wirklich keinen anderen Schatten als dich?
Hast du geträumt, das Licht sei nicht nur am Himmel,
nie zu erreichen,
nicht nur in der Musik, die du hörtest,
sei in der Musikerin, auf ihren Lippen,
in ihren Augen, sogar wenn sie schweigt?
Sag nicht, dass du träumtest, glaube es nicht:
bloß warst du nicht würdig."
Jaccottet schaut nach droben, tastet mit Worten nach einer förmlich unwirklichen Wirklichkeit, die sich der letzten Beschreibbarkeit entzieht, also weder in Sprache gefangen ist und mit fixiert, nicht einmal in Musik gänzlich ausgedrückt werden kann. Seine Dichtung bleibt dezent lichtreich, ja lichtdurchlässig.
Philippe Jaccottet nähert sich in diesem Band immer wieder Friedrich Hölderlin, demütig lesend, als ob er an dessen Anschauungen teilhätte. Vielleicht haben beide sogar dasselbe gesehen. Hölderlin sei die "wichtigste Begegnung in meinem Leben" gewesen, sagt er. Den Antiklerikalismus, von dem er selbst zeitweilig beherrscht war, hält er für die eigentliche Vernebelung des Geistes. Ein "unbedeutender religiöser Ort", eine "kleine Kapelle" – so wie jene, die diesem Buch den Titel gibt – kann dazu verhelfen, neu sehen zu lernen, die Augen auf eine andere Weise zu öffnen. Es bleibe, so Jaccottet, vielleicht doch Hoffnung auf eine Begegnung "mit dem Heiligen": "Wenn ich an einem Obstgarten entlangwanderte – ein Mandelbaumgarten oder anderswo ein Quittenhain –, wenn ich eintrat, hindurchging, spürte ich die gleiche Ergriffenheit. Ergriffenheit über ein offenes Bauwerk, das die Unendlichkeit enthielte. Und dazu jedes Mal das wirklich zentrale Gefühl des Heiligen."
Eine dankbare Leserschaft wird seine kostbaren Skizzen, Prosastücke und Dichtungen immer wieder zur Hand nehmen, darauf hoffend, dass Philippe Jaccottet in die verborgene Wirklichkeit heimgegangen ist, von der er besonders am Ende seines langen Lebens schon berührt zu sein schien.
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