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Charles Beat Blankart: Öffentliche Finanzen in der Demokratie

Die Ökonomie des Staates

Charles B. Blankart ist Professor em. für öffentliche Finanzen an der Humboldt-Universität zu Berlin und Ständiger Gastprofessor an der Universität Luzern. Der renommierte Hochschullehrer ist Autor zahlreicher Publikationen auf den Gebieten der Politischen Ökonomie und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Das vorliegende Lehrbuch bietet einen hervorragenden Überblick über die wichtigsten klassischen und aktuellen Themen der Öffentlichen Finanzen in der Demokratie und gehört mittlerweile zum Standardrepertoire für alle an der Finanzwirtschaft Interessierten.

Neue Erkenntnisse in der Wissenschaft und wichtige politische Entscheidungen erfordern regelmäßig eine Überarbeitung bzw. Aktualisierung finanzwissenschaftlicher Lehrbücher. Diesen Herausforderungen ist der Verfasser mit der vorliegenden Auflage wiederum sehr gut nachgekommen. Einige Kapitel wurden dabei gänzlich neu verfasst. Der Autor hat es zugleich geschafft, dem Wunsch des Verlags zu entsprechen und das Lehrbuch in einer wesentlich gekürzten Version abzufassen.

Das Lehrbuch besticht nach wie vor durch eine systematische und umfassende sowie spannende und durchgängig aktuelle Darstellung der einschlägigen Themen, ausgehend von der Theorie des Staates und der Staatsausgaben über Steuern und Staatsverschuldung, Finanzpolitik mit Nutzen-Kosten-Analyse, Bürokratie, Umwelt und Klima bis hin zum fiskalischen Föderalismus in Theorie und Praxis in Europa und in den USA. Die Analyse mündet im 31. Kapitel in die Frage: "Brauchen die Deutschen ein neues Grundgesetz?"

Hervorzuheben ist nach wie vor die gelungene methodisch-didaktische Aufbereitung und das ansprechende Layout des Buches. Selbst komplexe Zusammenhänge werden in der Kombination von verbalen, graphischen und mathematischen Darstellungen anschaulich und überzeugend vorgestellt. Neben vielen Anwendungsbeispielen bzw. Abbildungen und Tabellen erleichtern farblich hervorgehobene Textkästen das Verständnis für die finanzwissenschaftliche Materie.

Die vorliegende neunte Auflage bietet wiederum eine Fülle von neuen Fragestellungen, Informationen und dezidierten Stellungnahmen zu den jüngsten Entwicklungen, zum Beispiel:
- Wie tragfähig ist die Föderalismusreform in Deutschland?
- Wer sollte in Europa für wessen Schulden geradestehen? Die EU-Wende zur Transferunion.
- Altersvorsorge und Rentenversicherung: Demographische Lasten, die auf Deutschland zukommen werden.
- Eine nachhaltige, gerechte Krankenversicherung.
- "Umwelt- und Klimaökonomik" und die Wende bei der Kernenergie.
- Föderale Staaten und Staatengemeinschaften: Wer ist für die Finanzen im föderalen Staat verantwortlich? Jede Gebietskörperschaft für sich selbst oder die Gemeinschaft?

Das Buch baut auf einem klaren methodologischen Ansatz (Public-Choice) und dem entsprechenden Menschenbild auf, d. h. es wird die Annahme des homo oeconomicus vom Handeln im Markt auf das Handeln im Staat ausgedehnt. Beibehalten wurde auch die bewährte Gliederung des Buches in vier Teile:

Der I. Teil widmet sich den Grundlagen einer Ökonomischen Theorie des Staates. Der Staat wird dabei nicht nur als System von Regeln, sondern auch als Organisation von Menschen verstanden, welche auf Anreize reagieren und sich am eigenen Vorteil orientieren. Die daraus resultierende Prinzipal-Agent-Problematik zeigt sich u. a. darin, dass sich die Interessen der Bürger von denjenigen der Politiker und Beamten nicht selten unterscheiden und (auch) der demokratische Staat dazu tendiert, ein Eigenleben zu entwickeln und Ressourcen in wachsendem Ausmaß zu beanspruchen, derzeit ungefähr die Hälfte des Sozialprodukts.

Folgerichtig befasst sich der Schwerpunkt des II. Teils mit den Steuern und der Staatsschuld, d. h. mit der Fragestellung, wie sich der Staat unter dem Einfluss konkurrierender Interessen finanziert. Im Mittelpunkt stehen Besteuerungsprinzipien und Besteuerungsverhalten, Steuerarten und Steuervermeidung sowie Fragen der Staatsverschuldung und der sozialen Sicherheit, einschließlich Alterssicherung, Gesundheit und Krankenversicherung. Der Verfasser beschränkt sich hierbei nicht auf die Beschreibung und Analyse dieser finanzwirtschaftlichen Phänomene und Instrumente, sondern entwickelt auch Reformvorschläge, wie man die Staatsschulden und die Kosten der sozialen Sicherheit begrenzen könnte. Besondere Aufmerksamkeit schenkt Blankart u. a. auch der Frage der effektiven Steuerinzidenz, d. h. der Verschiebung der Steuerlast vom Steuerschuldner auf den Steuerträger. Entgegen der Aussagen von Politikern und Bürokraten wird die Steuerlast oftmals nicht von denjenigen tatsächlich getragen, die sie vermeintlich tragen oder nach dem Willen der politischen Entscheidungsträger tragen sollten.

Teil III befasst sich mit ausgewählten Problemen der Finanzpolitik. Neben den traditionellen Themenfeldern wie Nutzen-Kosten-Analyse werden Problembereiche wie öffentliche Unternehmen und öffentliche Aufträge, einschließlich Public Private Partnership, analysiert. Zusätzlich zum traditionellen soziologischen Ansatz der Bürokratie wird deren ökonomische Sichtweise betont. Anreize und Informationen begründen besser, weshalb die staatliche Bürokratie dem Bürger als undurchsichtige, oft ineffiziente Instanz erscheint. Des Weiteren werden aktuelle Fragen zu externen Effekten, Umwelt und Klima, diskutiert.

Im Teil IV wird die Thematik Föderale Staaten und Staatengemeinschaften bearbeitet. Während die traditionelle Finanzwissenschaft den Föderalismus als "rein saldenmechanisches Problem" betrachtet, befasst sich Blankart mit der Problematik der institutionellen Inkongruenz, dem Auseinanderfallen von Nutznießern, Entscheidungsträgern und Steuerzahlern, was letztlich zu Defiziten, Ausbluten der Gemeinschaft, Finanzkrise und Staatsbankrott führen kann. So lange es nicht gelingt, diese Problematik zu lösen, wird es nach Ansicht des Verfassers schwer möglich sein, sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene das Problem der Staatsfinanzen befriedigend zu lösen. Im Hinblick auf das Euro-System macht Blankart u. a. deutlich, wie dort die Verantwortlichkeiten verwischt sind und sich Kreditverträge nicht durchsetzen lassen. Der Föderalismus mündet dann in eine Transferunion, in der jeder für jeden haftet und das Kreditvolumen explodieren wird. Abschließend wird die Ausgangsfrage "Brauchen die Deutschen ein neues Grundgesetz?" von Blankart klar bejaht. Hierzu werden Vor- und Nachteile von fünf Verfassungsmodellen, welche zur Debatte stehen könnten, vorgestellt und diskutiert.

Dieser Klassiker unter den deutschsprachigen Einführungen in die Finanzwissenschaft richtet sich in erster Linie an die Studierenden in Bachelor- und Masterkursen der Finanzwissenschaft und kann diesem Adressatenkreis uneingeschränkt empfohlen werden. Des Weiteren kann dieses Werk auch Praktikern in Politik, Verbänden und Verwaltung zum Studium bzw. als Nachschlagewerk bestens empfohlen werden. Es bleibt zu hoffen, dass sich durch die Lektüre dieses Buches nicht zuletzt auch Abgeordnete und andere politische Entscheidungsträger mit den wirtschaftlichen Konsequenzen der politischen Eingriffe und institutionellen Regelungen vertraut machen. Letztendlich können auch alle diejenigen Bürger, die sich kritisch mit dem Stand und der Entwicklung der Staatsfinanzen auseinandersetzen wollen, von diesem großen Wissensfundus profitieren.


von Bernd W. Müller-Hedrich - 07. Juni 2017
Öffentliche Finanzen in der Demokratie
Charles Beat Blankart
Öffentliche Finanzen in der Demokratie

Eine Einführung in die Finanzwissenschaft
Franz Vahlen 2017
514 Seiten, gebunden
EAN 978-3800653478