Caspar David Friedrich: Der Geist der Geschichte in der Natur
Wer in Dresden oder Berlin eines der Gemälde von Caspar David Friedrich betrachtet, wird wissen, dass er vor einem Werk des wohl bedeutendsten deutschen Landschaftsmalers der Romantik steht. Vielleicht wird der Betrachter auch verstehen, dass der Künstler seine Landschaften nicht einfach naturgetreu abbildete; zu deutlich ist eine tiefe Melancholie zu spüren. Wieland Schmied eröffnet uns mit diesem Buch aber einen viel weiteren, differenzierteren Zugang zu Friedrichs Bildern.
Der 1774 in Greifswald geborene Künstler gilt allgemein als der Maler der "unendlichen Landschaft", der uns "unbekannte Räume" eröffnet (S. 15). Doch Schmied stellt sein Buch unter ein anderes Motto: das der Zeit. "Caspar David Friedrich malte den Stillstand der Zeit, den bewegungslosen Augenblick, den Moment des Innehaltens im Zeitlauf. Natur und Geschichte scheinen in gleicher Weise den Atem anzuhalten." (S. 74) Diesen Augenblick des Stillstandes konfrontiert Friedrich dann entweder in einer anderen räumlichen Ebene desselben Bildes oder in einem Bildpaar oder Bilderzyklus mit anderen Momenten und setzt so "die angehaltene Uhr der Zeit wieder in Gang" (S. 76). Der Maler bemühte sich in seinem gesamten Lebenswerk bis zu seinem Tode 1840 darum, eine Verbindung zwischen dem zyklischen Verlauf der Natur und dem auf ein Ziel hin gerichteten Gang der Geschichte herzustellen, was ihm jedoch nie vollständig gelang. Da er lebenslang an diesem Konzept arbeitete, kehren bestimmte Themen auch lebenslang wieder. Und nach Auffassung Schmieds ist Friedrich seinem Streben, "den Geist der Geschichte vollkommen in der Natur wiederzuerkennen und aus ihr herauslösen und darstellen zu können", gegen Ende "doch ein Stück nähergekommen." (S. 71) Indem er die Natur als eine Abfolge von Zuständen begriff und diese Phasen als voneinander abgehobene Bildebenen hintereinander anordnete, machte er sie als fortschreitende Entwicklung erkennbar.
Friedrich liebte die Verschlüsselung und versteckte seine Botschaft; sie offenbart sich nur demjenigen Betrachter, der jeder Andeutung und jedem kleinsten Hinweis nachgeht. "Einsamer Baum" etwa, ein scheinbar einfaches Landschaftsbild aus dem Jahr 1822: Ein uralter, oben schon absterbender Baum, vielleicht eine Eiche, steht im Zentrum; zu seinen Füßen befindet sich ein sumpfiges Wasserloch, ein Schäfer lehnt an ihm und wacht über seine kleine Herde. Dahinter, in helles Licht getaucht, sehen wir ein von Buschwerk umgebenes Dorf inmitten von Weiden und Feldern. Weit im Hintergrund ragt ein Kirchturm hinter Hügeln hervor, die Dächer einer Stadt sind sichtbar. Den Abschluss bildet ein bläuliches Gebirge, weit entfernt. Alles wird überwölbt von einem Himmel, der nur über der Stadt und den Bergen in hellem Blau und Weiß erscheint, während er im Vordergrund grau und düster ist und sich über dem Baum zu krümmen scheint.
Das Wasser im Vordergrund deutet Schmied als die Vorzeit, "eine Natur, die sich dem Menschen entzog." (S. 66) Die Zone des Hirten mit seiner Schafherde, in der die Eiche wurzelt, steht für die nomadische Existenzform des Menschen. "Hinter den Weiden folgt eine Zone, sonnenbeschienen, im vollen Licht des geschichtlichen Morgens, Natur, die der Mensch urbar gemacht hat, in kleinen Weilern ist er seßhaft geworden [...]. Natur und Mensch stimmen glückhaft zusammen." Doch eine Ruine deutet an, dass diese Zeit schon weit zurückliegt. Die Stadt mit ihren gotischen Kirchtürmen und das Gebirge sind als Metaphern für das christliche Mittelalter zu lesen. Die Gotik steht bei Friedrich für die Vision der ungeteilten Kirche der Zukunft, eines erneuerten Christentums und der "Utopie einer konfliktfreien Gesellschaft als Ziel menschlicher Geschichte." (S. 69) Das Gemälde ist somit in hintereinander gestaffelte, parallele Ebenen gegliedert, von der fernen Vergangenheit zur Gegenwart hin, die der Baum durchwächst, bis er oben im Himmel immer lichter wird und schließlich abstirbt.
Zu diesem "Morgenbild" gehört das Gemälde "Mondaufgang am Meer" aus demselben Jahr, das sich der ungewissen Zukunft widmet. "Friedrichs Landschaften, die sich auf den ersten Blick so selbstverständlich geben, [...] so einfach zu deuten, sind in Wahrheit tiefsinnige Gleichnisse." (S. 103) Diese Gleichnisse zu erfassen, dabei hilft das Buch von Wieland Schmied.
Eine tabellarische Aufstellung wichtiger "Lebensstationen" des Künstlers, die auch vier Selbstbildnisse enthält, rundet den gelungenen Band ab.
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