Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens / Der Fall Kaspar Hauser

Ein Rätsel, das eins bleiben wird

"A söchtener Reuter möcht i wern, wie mei Voater gwen is": Diesen Satz soll Kaspar Hauser gesagt haben, als er am Pfingstmontag des Jahres 1828 in Nürnberg auftauchte. Doch wer war sein Vater? Ein badischer Fürst, wie bald behauptet wurde? Dann wäre es denkbar gewesen, dass der Sohn von der Erbfolge ausgeschlossen werden sollte. Die meisten seiner bis dahin sechzehn Jahre hatte der Jüngling eigenen Angaben zufolge in einem dunklen Verlies bei Wasser und Brot verbracht. Und warum sprach er altbaierischen Dialekt? Der Ungereimtheiten sollte es noch viele geben - bis zu seinem frühzeitigen Dahinscheiden am 17. Dezember 1833.

Wer hatte Kaspar Hauser die tödliche Stichwunde beigebracht? Er selber vielleicht, um das allmählich nachlassende Interesse an seiner Person neu zu entfachen? Auf seinem Grabstein steht der Satz: "Hier liegt Kaspar Hauser, Rätsel seiner Zeit, unbekannt die Herkunft, geheimnisvoll der Tod." Es sollte wohl ein Mysterium bleiben.

Damit wussten nicht wenige ein Geschäft zu machen. Kaspar Hauser war binnen kurzem ein Gesprächsthema in Nürnberg, wo er aufgegriffen wurde, in der nahen Residenzstadt Ansbach, in der er lebte, bald auch im gesamten Deutschen Reich und sogar in zahlreichen Ländern Europas. Ein Lord Stanhope, Party- und Müßiggänger aus englischem Hochadel, erwarb die Vormundschaft, gewiss nicht aus uneigennützigen Motiven, um nach dem Tod seines Schützlings diesen als Betrüger hinzustellen.

Es gab auch redlich um das Findelkind bemühte Zeitgenossen: So den Gymnasialprofessor Georg Friedrich Daumer, der mit Kaspar Hausers Erziehung beauftragt wurde und auch recht gute Erfolge erzielte. Vier Abhandlungen veröffentlichte der Theologe über den Schüler, doch bereits im Herbst 1829, nach einer ersten Messerattacke, war Schluss mit den Bemühungen - angeblich, weil in Daumers Haus die Sicherheit des Zöglings nicht mehr gewährleistet war.

In Ansbach arbeitete Kaspar Hauser später als Schreiber beim Gerichtspräsidenten Anselm von Feuerbach. Der glaubte anfangs nicht an die adlige Herkunft seines Angestellten, besann sich aber bald eines besseren. Feuerbach starb einige Monate vor Kaspar Hauser, was weitere Verschwörungstheorien über dessen Abstammung und Ableben befeuerte.

Seriös geforscht wurde auch: Zuletzt in zwei unterschiedlichen DNA-Analysen, von denen eine die Prinzenabstammungshypothese verwarf und die andere sie stützte. Genau das braucht ein Mythos, um ihn am Leben zu erhalten.

Der literarische Kaspar Hauser-Klassiker stammt von Jakob Wassermann. Der 1873 in Fürth geborene Erfolgsschriftsteller des ausgehenden Kaiserreichs und der Weimarer Republik hatte seinen Roman bereits 1908 veröffentlicht. Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens lautete der Titel, und sein Autor hielt sich eng an die historischen Tatsachen. Wassermanns Zeitrechnung zufolge schien Hauser „ein Jüngling von ungefähr siebzehn Jahren". Seine Ferndiagnose kommt, dem Anspruch des Autors auf größtmögliche Objektivität geschuldet, recht distanziert daher: „Niemand wusste, woher er kam. Er selbst vermochte keine Auskunft darüber zu erteilen, denn er war der Sprache nicht mächtiger als ein zweijähriges Kind; nur wenige Worte konnte er deutlich aussprechen, und diese wiederholte er immer wieder mit lallender Zunge, bald klagend, bald freudig, als wenn kein Sinn dahinter steckte und sie nur unverstandene Zeichen seiner Angst oder seiner Lust wären. Auch sein Gang glich dem eines Kindes, das gerade die ersten Schritte erlernt hat: nicht mit der Ferse berührte er zuerst den Boden, sondern trat schwerfällig und vorsichtig mit dem ganzen Fuße auf."

Das jüngste Buch über Kaspar Hauser hat die Historikerin Anna Schiener geschrieben; es ist im Regensburger Pustet Verlag erschienen. Die Autorin, die leider schon 2014 verstorben ist, interessiert sich nicht nur für den realen Fall, sondern auch für das Nachleben des rätselhaften Menschen: Wie konnte, so die Frage, die sie treibt, um Kaspar Hauser ein solcher Hype entstehen, der selbst zwei Jahrhunderte nach seiner angeblichen Geburt weiter anhält?

Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens / Der Fall Kaspar Hauser
Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens / Der Fall Kaspar Hauser
480 Seiten, broschiert / 232 Seiten, gebunden
dtv / Friedrich Pustet
2012

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