Casanovas Venedig entdecken
Maskenbälle, Theater, Spielsäle, Kirchen und Kurtisanen, so will es das Bild, das uns die Historiker von Venedig vorgaukeln. Inwiefern deckt sich dieses Bild aber mit dem, was uns Casanova in seinen Schriften von Venedig vermitteln wollte? Der selbsternannte "Chevalier de Seingalt" schrieb seine Memoiren auf Schloss Dux in Böhmen und erzählt uns seine abenteuerlichen Anekdoten im Rückblick. Lothar Müller heftete sich an seine Fersen und zeigt uns ein Venedig, wie wir es nicht kannten.
Histoire de ma Vie
Alle Städte der Welt gleichen sich mehr oder weniger, nur diese gleicht keiner anderen: Venedig. Der aus Venedig verbannte Casanova bereiste 18 Jahre lang viele Städte Europas wie Petersburg, Warschau, London oder Madrid, aber der Fixstern, an dem er sich stets orientierte, war seine Heimatstadt Venedig, "die Reise zurück nach Venedig". 1789, als die Französische Revolution der Welt, die er in seinen Memoiren zu beschreiben begann, gerade ein Ende setzte, befand sich Casanova bereits auf Rente. In Histoire de ma Vie beschreibt er die kulturell pulsierende Metropole mit 140.000 Einwohnern als Metropole, in der in fünf von zwölf Monaten Maske getragen wurde. Der Karneval hatte fast die Hälfte des Jahres Saison und der Tourismus in die Seerepublik boomte schon im 18. Jahrhundert. Als Sohn eines Schauspielers geboren, war ihm die Welt der Maske auch nicht fremd, aber eine wesentliche Lektion lernte er schon früh von einem gewissen Signor Baffo auf einer Burchiello-Fahrt: "Verliere nicht den Mut, bilde dir stets dein eigenes Urteil und lass die andren ruhig lachen". Eine elegant frivole Antwort auf ein lateinisches Distichon wusste der kleine Giacomo schon als 11-jähriger: Discite, grammatici cur mascula nomina cunnus et nur femineum mentula Nomen habet, lautete das Rätsel. Disce quod a domino nomina servus habet, seine Antwort.
Mythologie der Dekadenz
Die damalige Theaterhauptstadt Europas war reich an Unterhaltungen, von denen einige auch in vorliegender Lektüre offenbart werden. Sie sind nicht nur intellektueller Natur, wie das obige Rätsel, sondern auch visueller und literarischer. So erzählt etwa Johann Caspar Goethe von einem Theaterbesuch, Jean-Jacques Rousseau hört in der Musik das Paradies (Conservatemi la bella/Che si machende il cor) oder Pietro Chiari lässt sich über einen gewissen Signor Vanesio aus. Obwohl 1756 ein Dekret erlassen wurde, dass keine Theater mehr errichtet werden dürften, fand nach dem Brand des San Benedetto noch ein letzter Theaterbau statt: das Fenice, das fünf Jahre vor dem Untergang der Republik erröffnet wurde. Nicht nur das Leben der Stadt folgte also dem Theater, der Tragödie, sondern auch Casanovas Erzählung seines Lebens folgte immer wieder den dramaturgischen Gesetzen der Komödie. Auch Carlo Goldoni beschreibt seine Stadt als "singendes Venedig", dessen wichtigster Charakterzug sich in der Munterkeit und Laune zeige. Dass das damalige Venedig aber als Hauptstadt der Prostitution charakterisiert wurde, hätte Casanova nicht gelten lassen. Schließlich baute sich der Großteil seines Ruhmes nicht zuletzt auf seinen Verführungskünsten auf. Für Kurtisanen hätte es dieser wohl nicht bedurft. Besonders lesenswert ist auch der erste Paragraf des Liebesspiels von Casanova, das Spiel mit der Auster oder seine Ausführungen zur Quintessenz darin. Auch die Begriffe Casino und Casinó wird man unterscheiden lernen. Trotz seines doch etwas liderlichen Lebensstils war Giacomo Casanova alles andere als ein Freigeist in politischen Dingen, vielmehr ein Legitimist, der die Gesellschaft der Oberen suchte, um endlich wieder in seine Heimatstadt zurückkehren zu dürfen. Als es dann gelang, hielt er es allerdings erst recht wieder nicht sehr lange dort aus und starb schließlich doch im Exil.
Das ganz besondere Reiselesebuch
Vorliegendes Reiselesebuch in der Reihe SALTO des Wagenbachverlages erschien erstmals 1998 und wurde aufgrund des großen Erfolges mehrmals neu aufgelegt. Es ist sowohl auf der ersten als auch letzten Umschlagseite mit jeweils einer Karte Venedigs ausgestattet, wo die wichtigsten Stationen der Lesereise eingezeichnet sind. Kupferstiche von Stadtansichten, Häusern und Plätzen zeigen Casanovas Aufenthaltsorte und Referenzen, seine Casini, seine Wege zum Nachgehen sowie realen Ausgangspunkte für eigene Erkundungen. Nicht nur der Herausgeber, Kultur- und Literaturwissenschaftler Lothar Müller und Casanova kommen zu Wort, sondern auch andere Schriftsteller und seine Zeitgenossen. Im Anhang befindet sich auch eine Zeittafel seines Lebens.
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