Ausdrucksstarkes Spanien
Auf den ersten paar Seiten zeigt uns die Tänzerin Maria Angeles Gabaldon im Teatro Lope de Vega in Sevilla auf ansprechenden S/W-Fotos ihr Können: mit großer Theatralik und einnehmden Gesten lässt sie einem den Atem stocken, bis wir uns plötzlich vor der Kathedrale von Sevilla wiederfinden. Das folgende doppelseitige Foto zeigt ein reich geschmücktes Paar von hinten wohl auf dem Rücken eines Pferdes, die Feria de Abril, ist eines der ersten Feste des Jahres, die dem Flamenco eine ganze Woche lang huldigen und für die sich nicht nur die Frauen wunderschön bunt kleiden. Der Frühling huscht durch die bunten Röcke und blumengeschmückten Haare, lachende Mädchen und glückliche Paare sind zu sehen, doch dann plötzlich steht eine schwarzgekleidete, fast verschleierte Frau vor uns. Ein Blick, der einen Wasserfall erstarren lassen könnte, ein Charisma, das einen wünschen lässt, vor seinem Tod noch einmal an so etwas Schönem in real teilhaben zu dürfen. Die Settimana Santa zeigt eine anonyme Frau, die jede amerikanische Schauspielerin locker in den Schatten stellen könnte. Vielleicht ist sie wirklich eine Witwe. Oder ist es etwa tatsächlich Carmen? Kein Grund sich von der Brücke zu stürzen, die das nächste Bild ziert, die "Puente de Isabel II" bei Nacht und wenig später ein Foto der Tabakfabrik von Sevilla, wo dieselbe besagte Carmen wohl gearbeitet haben soll, wie es in George Bizets gleichnamiger Oper gezeigt wird. Es folgen weitere Tanzdarbietungen von verschiedenen Protagonistinnen, ein Foto alter Männer in einer Bodega oder den Gitarristen Melchor Cordoba bei der Arbeit auf der Bühne. Aber das Auge trägt uns auch aus Sevilla heraus, zur Alhambra Granadas zum Beispiel oder zum Kloster San Nicolas außerhalb Granadas. Auch hier wird unter einem Olivenbaum im Garten dem Flamenco gefrönt, dazu braucht man nicht unbedingt ins Theater zu gehen, denn Flamenco wird nach wie vor auch "gelebt". Es folgen weitere Porträtfotos von Männern, Soldaten oder Bars in Sevilla. Die Fotos sind meist zweisprachig (Englisch und Spanisch) beschriftet und zeigen nicht nur den Tanz im Mittelpunkt, sondern auch seine Beobachter und Zuschauer. Der tanzenden Maria Angeles Gabaldon wird noch eine weitere Serie gewidmet, bis der Betrachter wieder in die Straßen Sevillas und in andere Theater oder Kirchen geführt wird. Zuletzt zeigt man den Tänzer Miguel Vargas in einer Pose, die zu verstehen gibt, worum es beim Flamenco geht. Das letzte Foto zeigt den Torre del Oro von Sevilla mit einem Sichelmond im Hintergrund.
Wer sich bei seinem geistigen Ausflug nach dem Süden Spaniens auch die richtige Musik anhören will, dem kann die CD #3 und 4 mit den Titeln "Pure FlamencoVol.1 und Vol.2" empfohlen werden. Die Interpreten sind u.a. "Sabicas", Juanillo de Alba, Luis Alberto oder "Los Serafines de Valme" und "Alegria de Andalucia". Wer bei "Alegria" allerdings an Fröhlichkeit denkt, wird sich wundern, wie tiefsinnig und melancholisch manche dieser Lieder sind, aber dennoch immer voller Kraft und Energie und dem Willen, das Schicksal zu ändern und in die eigenen Hände zu nehmen. Auch wenn das meistens gar nicht so einfach ist, wie das traurige Schicksal von Don Jose und Carmen gezeigt hat. Manche Lieder sind wiederum sehr zärtlich, fast verletzlich oder auch rein instrumentell, wie etwa "Lagrima" oder "Romance" von Juanillo de Alba, mithin zwei der schönsten Momente auf diesen beiden CDs.
Die anderen beiden CDs, #1 und 2, widmen sich der eher klassischen Seite des Flamencos und es zeichnen neben Georges Bizet auch Maurice Ravel, Manuel de Falla oder Isaac Manuel Francisco Albeniz dafür Verantwortung. CD #1 bringt Auszüge aus der um 1875 entstandenen Oper "Carmen" von Bizet, gesungen wird sie hier von Jennifer Larmore und es spielt das bayrische Staatsorchester unter der Leitung von Giuseppe Sinopoli (Aufnahme von 1996). Auf CD #2 wird Ravels "Rhapsodie espagnole" wiedergegeben und Albenizs "Iberia". Von Manuel de Falla stammt "El Sombrero de tres picos", eigentlich ein Ballettstück. Dieses Programm, CD #2, wurde von der Dresdner Philharmonie unter der Leitung von Jörg-Peter Weigle eingespielt.
Jean Coctau hat den Flamenco mit einem Feuer verglichen, das man mit dem Mund eingeatmet habe und das man dann wieder mit den Füßen auszustampfen versuche, um sich nicht zu verbrennen. Das Bild des heißen, leidenschaftlichen Tanzes, der nicht nur den Körper, sondern auch die Seele zum Überkochen bringt, wird gerne auch in Filmen zum Thema gemacht. So mancher hat schon seinen Kopf verloren, nachdem er sich zu nah an eine der Flamenco-Tänzerinnen herangewagt hat. Frederico Garcia Lorco warnte seine Zuhörer vor der "siguiriya" (auch seguiriyas, seguidilla gitana, eine Form der Flamenco Musik, die zur "cante jondo" Kategorie gehört), die wie ein loderndes Feuer sei, das den Hals, die Lippen und die Zunge des Sängers verbrenne. Wer noch heller brennen möchte, dem sei die im Herbst in Sevilla veranstaltete "Bienal de Arte Flamenco" empfohlen, die alle zwei Jahre einen ganzen Monat lang die besten Tänzer und Musiker in der Hauptstadt des Flamenco versammelt. Die letzte fand im Oktober 2008 statt, wer also nicht mehr bis 2010 warten kann, dem sei die Feria Abril ans entflammte Herz gelegt.
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