Milos Vec, Bettina Beer, Eva-Maria Engelen: Der Campus-Knigge

Leitstrahl im akademischen Nebel

Die Universität ist ein seltsam Ding: merkwürdig gekleidete Professoren unterrichten junge Menschen in obskuren Themen. Montags und freitags ist meist keiner da, Lehrveranstaltungen beginnen selten vor 10.00 Uhr und dann noch nicht mal pünktlich. Nicht Umsatz oder Rendite heißt die akademische Währung, "abgerechnet" wird in Publikationen, Konferenzeinladungen und Zitaten. Nicht nur für Campus-Neulinge eröffnen sich seltsame Regeln.

Die Mitglieder der Arbeitsgruppe "Manieren!" der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften haben sich aufgemacht, Licht ins Dunkel zu bringen. "Der Campus-Knigge" ist ein ernst gemeintes, gleichwohl mit Augenzwinkern zu lesendes Lexikon der akademischen Benimmregeln.

Die Arbeitsgruppe, bestehend aus zwölf Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen, hat sich zur Aufgabe gemacht, die vielfältigen Normen, Regeln, Konventionen, Standards und Höflichkeitsregeln, kurz die Fragen akademischen Stils zu untersuchen. Das Buch stellt ein erstes Ergebnis ihrer Arbeiten dar.

Gut 200 Stichworte von Abschreiben bis Zweitgutachten erwarten die Leser. Auch wenn die Autoren es sich zum Ziel gesetzt haben, ein seriöses Lexikon vorzulegen und diesen Anspruch auch durchaus erfüllen, lebt der Band davon, dass sich die akademischen -> Eliten selbst und ihr Fach nicht bierernst nehmen. Wie sonst ließe sich das frühmorgendliche -> Frühstück im Kreis der Kollegen als größter anzunehmender Horror beschreiben? Und welche Not verbirgt sich hinter einer -> Festschriftendruckkostenzuschussversicherung?

Wer schon immer wissen wollte, was sich hinter der "Wissenschaftssprache" -> Globalesisch verbirgt, sich nach dem Sinn und Unsinn von -> Antritts- bzw. -> Abschiedsvorlesung fragt, liegt mit dem Bändchen goldrichtig. -> Science star oder -> Feuilletonwissenschaftler, wer den einen legendären Gedanken als -> smallest publishable unit (SPU) ein Akademikerleben lang in zahllosen Aufsätzen, Analysen und Essays -> wiederkäut, bringt es zumindest zu einer unendlichen -> Publikationsliste.

Das Büchlein sei Studienanfängern besonders empfohlen. Längst nicht alles, was an der alma mater so passiert, folgt wissenschaftlichen, objektiven oder auch nur nachvollziehbaren Kriterien. Und bei weitem nicht alle Sitten und Normen sind klar. Aber wer die Regeln kennt und für sich nutzen kann, kommt eigentlich ganz gut damit durch.

Die Angst vor der -> Prüfung ist nicht ungewöhnlich, und die Sorge, dass der glücklich machende -> Ruf nie erfolgen könnte, umtreibt Heerscharen meist schlecht verdienender -> Privatdozenten, aber irgendwie ist es doch ganz schön an der Universität.

Alle, die bei der Nennung des -> Ordinarius noch innerlich in Ehrfurcht erstarren, sollten sich die Lektüre zu Gemüte führen. Aber auch Jung- und -> Einzelschreibtischforscher, die der Meinung sind, dass ihre Kommentierung zur Versuchsanordnung eines Forschungsvorhabens den Lauf der Welt ändern würde, erhalten mit dem Band ein gutes Korrektiv auf die eigene - gelegentlich - eingeschränkte Sicht. Im -> Zitationsindex reichhaltig vertreten zu sein, bedeutet weder -> Macht, noch mehr -> Sex.

Wie Rainer Maria Kiesow schreibt, ist das -> Ausschlafen mit "Abstand das Beste am Forscherdasein. Überall sonst wird evaluiert, kommentiert, abserviert. Beim Ausschlafen jedoch kommt es nicht auf Qualität oder Qualitätssicherung an. Selbst der dümmste Wissenschaftler und grottigste Professor können, wenn sie es denn können und wollen, ausschlafen. Deshalb, nur deshalb bin ich Forscher geworden: um ein Leben lang (ausschlafen) zu können."

Ein besserer -> Wissenschaftler wird Mann/Frau nach der Lektüre sicher nicht, dazu gehören auch weiterhin Forscherdrang, Wissen und Ausdauer. Aber den Lebensraum Universität versteht man um einiges besser. Und das ist doch schon mal ein Anfang. Drum: studiere vor dem Studieren.

Alle mit -> markierten Stichwörter können im besprochenen Buch nachgeschlagen werden.
Der Campus-Knigge
Der Campus-Knigge
Von Abschreiben bis Zweitgutachten
160 Seiten, gebunden
C.H.Beck 2006
EAN 978-3406550621

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Möglichst vielen (realsatireoffenen) Leserinnen und Lesern zur Lektüre empfohlen.

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