Zwischen Antike und Mittelalter
Byzanz - das Römerreich im Mittelalter: So groß, wie das Byzantinische Reich war, so lange, wie es bestehen blieb - so umfangreich und beeindruckend sind auch die vier Bände, die hier vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz vorgelegt werden.
Die vier Bände mit insgesamt 68 Beiträgen sind als wissenschaftliche Ergänzung zur Ausstellung "Byzanz - Pracht und Alltag" (Kunst- und Ausstellungshalle, Bonn, Februar bis Juni 2010) konzipiert. Diesem Anspruch werden sie alleine schon aufgrund der weiten Themenstreuung mehr als gerecht, bieten sie doch eine Vielzahl von Einblicken und Erkenntnissen, die die vielen Facetten von Byzanz und seiner Erforschung zum Leuchten bringen.
Die vier Bände sind in drei Teile untergliedert: Teil 1 trägt den Titel "Welt der Ideen, Welt der Dinge". Neben der Entwicklung von Herrschergrabmälern von der Antike bis ins Merowingerreich werden hier beispielsweise auch Symbolik und Funktion der Gürtel der Byzantiner oder die Vielzahl von Heiligen Nägeln und Heiligen Lanzen einer eingehenden Untersuchung unterzogen. "Die Welt der Dinge" umfasst selbstverständlich die Behandlung von Ohrringen, Schmuckkreuzen, Ringen, Fibeln, Glas und Metallkrügen, aber auch die Modellrekonstruktion einer byzantinischen Dromone des 10./11. Jahrhunderts.
Teil 2, "Schauplätze", besteht aus zwei Bänden, und behandelt eine Vielzahl von Städten und Ausgrabungsorten. Wenig überraschend nimmt Konstantinopel selbst dabei eine zentrale Stellung ein, doch ist die Auswahl der Beiträge in ihrer thematischen Streuung ein wahrer Parforceritt durch eine schillernde Stadt: Über den zeremoniellen Auftritt des Kaisers in der Hagia Sophia über deren Neuinterpretation im Spiegel angewandter antiker Vermessungslehre und angewandter Mathematik wird der Bogen geschlagen bis hin zu den Verlierern auf Seiten der Kreuzfahrer des Jahres 1204. Einen - nach Meinung des Rezensenten - ersten Höhepunkt des Bandes bietet aber eine Computersimulation eines Teams der TU Darmstadt, die sich der Frage des Lichts in der Hagia Sophia widmen - wie wurde diese beleuchtet, und welches Bild ergab sich dadurch für den zeitgenössischen Besucher? Das Ergebnis ist ein verblüffendes Bild eines herausragenden inszenierten Innenraumes.
Doch neben Konstantinopel kommen auch Orte an der Peripherie des Imperiums zur Sprache, von Jordanien und Syrien über die Türkei und die Ukraine bis nach Serbien und Bulgarien, also aus dem gesamten Raum des ehemaligen byzantinischen Reiches. Besonders hervorzuheben sind hier die jeweils mehrere Aufsätze umfassenden Abschnitte Androna / Al Andarin, Amorium / Hisarköy, Cherson / Sewastopol, Ephesos / Selçuk und Pergamon / Bergama.
Der dritte Teil wendet sich unter dem Titel "Peripherie und Nachbarschaft" der Frage nach Kontakt und Austausch des Byzantinischen Reichs mit seinen Nachbarn zu, wobei die Beiträge nach geographischen Regionen angeordnet sind, und neben dem nördlichen Schwarzmeerraum, dem unteren, mittleren und oberen Donauraum auch byzantinische Einflüsse in Skandinavien behandeln.
Neben der Vielzahl der behandelten Themen, der Fülle an Textbeiträgen mit durchwegs hochwertiger und ansprechender Bebilderung, soll an dieser Stelle ein weiterer Aspekt positiv hervorgehoben werden, nämlich die Tatsache, dass auch "modernen" Methoden Raum gegeben wird. Dies bezieht sich zum einen auf die Vorstellung der zeichnerischen Rekonstruktion und des Funktionsmodell der Steinsäge in Ephesos sowie der Modellrekonstruktion einer Dromone, eines byzantinischen Kriegsschiffes. Zum anderen sind damit aber auch die digitalisierten Rekonstruktionen der Stadt Ephesos und ihrer Umgebung und der bereits erwähnte Beitrag zur Wirkung des Lichts in der Hagia Sophia zu verstehen. Selbstverständlich sind derartige Rekonstruktionen und Simulationen durchaus gewagt und oftmals zu Recht nicht unumstritten, doch sinnvoll eingesetzt und von (selbst)kritischer Forschung getragen, bergen sie ein großes Potential für neue Fragen und Erkenntnisse.
Das Ziel der Bände wird im Vorwort deutlich umrissen, ist Byzanz für die Herausgeber doch eine der "faszinierendsten Erscheinungen der europäischen Geschichte, (…) die bruchlose Fortsetzung des Oströmischen Reichs, das sich langsam, Schritt für Schritt, zu einem mittelalterlichen Staat wandelte". Diese Faszination, das darf man ohne Einschränkungen sagen, haben die Autoren erfolgreich an die Leser vermittelt, und sie haben damit das Bild des Byzantinischen Reiches als Mittler zwischen den Zeiten in seiner Brückenfunktion zwischen Antike und Mittelalter, aber auch seiner Mittlerfunktion zwischen Ost und West auf beeindruckende Weise präsentiert. Wer sich für das Byzantinische Reich interessiert, und über den Ausstellungskatalog "Byzanz - Pracht und Alltag" hinaus fundierte Erkenntnisse gewinnen will, dem sei die Lektüre dieser Bände wärmstens empfohlen.
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